Dialog
KANZELREDE MIT IMAM BENJAMIN IDRIZ
Erlöserkirche München, 03. November 2024
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.
Lob sei Gott, dem Herrn der Welten.
Möge sein Segen auf allen seinen Gesandten liegen,
und Frieden komme zu allen Menschen.
Liebe Schwestern und Brüder,
es erfüllt mich mit Freude und Ehre, heute in dieser ehrwürdigen Kirche zu Ihnen zu sprechen. Jeden Freitag nehme ich in meiner Moschee die Kanzel ein, um Gedanken zu teilen: eine Lehre, eine Mahnung, einen Rat oder eine tröstende Botschaft. Heute fühle ich mich hier ebenso zu Hause wie dort, denn ein Ort des Gebets bleibt ein Ort der Andacht – ob Moschee, Kirche, Kloster oder Synagoge. Alle Gotteshäuser eint der Zweck, Gott zu preisen. Diese Verbundenheit wird im Koran besonders deutlich, wo im 22. Kapitel, Vers 40, Gotteshäuser in einer Reihe aufgezählt werden, wie die Perlen eines Rosenkranzes.
Für diese Gelegenheit möchte ich Herrn Udo Hahn, dem Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, und Frau Birgitte Grande, der Vorsitzenden des Freundeskreises der Akademie, von Herzen danken. Sie haben mir die Möglichkeit gegeben, meine Gedanken zum Thema „Wie wollen wir zusammenleben? – Eine muslimische Perspektive“ mit Ihnen zu teilen.
Unsere Gesellschaft in Deutschland ist heute in einem Maße vielfältig und komplex, wie es wohl kaum eine frühere Generation erlebt hat. Diese Vielfalt – durch kulturelle und religiöse Unterschiede geprägt – ist eine große Stärke, die uns als Gesellschaft bereichert, unseren Horizont erweitert und unser Leben vielfältiger und bunter macht.
Doch dieser Reichtum bringt auch Herausforderungen mit sich. Wir alle tragen die Verantwortung, diese Vielfalt zu gestalten und die Chancen zu nutzen, die sie uns bietet. Dafür braucht es Mut, den Mut, aufeinander zuzugehen, voneinander zu lernen, Respekt füreinander zu entwickeln und die Gemeinsamkeiten zu erkennen, die uns trotz aller Unterschiede verbinden.
Die heutige Veranstaltung ist ein wertvolles Beispiel dafür: Sie öffnet uns die Augen und das Herz für die Bedeutung dieser Begegnung. Indem wir einander kennenlernen und einander zuhören, bauen wir Vertrauen auf, überwinden Vorurteile und beseitigen Hindernisse, die uns trennen.
Und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Sie herzlich auch in unsere Moschee einzuladen. Jeder von Ihnen ist dort willkommen, und es wäre mir eine große Ehre, Sie als meine Gäste begrüßen zu dürfen. Selbstverständlich steht die Einladung auch christlichen Geistlichen offen, die über das gemeinsame Zusammenleben aus christlicher Sicht sprechen möchten.
Diese Einladung habe ich mit großer Dankbarkeit angenommen, denn das Thema, das uns heute hier zusammenführt, liegt mir besonders am Herzen – es ist ein Thema, das unsere Zukunft maßgeblich prägen wird.
Wenn Muslime mich fragen, warum Christen einen Imam einladen, von ihrer Kanzel aus zu sprechen, dann ist meine Antwort einfach: Weil Christen und ihre Geistlichen Menschen sind, die uns nahe stehen, wie es der Koran in Sure 5, Vers 82 beschreibt:
وَلَتَجِدَنَّ أَقْرَبَهُمْ مَّوَدَّةً لِّلَّذِينَ آمَنُواْ الَّذِينَ قَالُواْ إِنَّا نَصَارَى ذَلِكَ بِأَنَّ مِنْهُمْ قِسِّيسِينَ وَرُهْبَانًا وَأَنَّهُمْ لاَ يَسْتَكْبِرُونَ
„Und du wirst sicher finden, dass diejenigen, die den Muslimen am nächsten stehen, diejenigen sind, die sagen: ‚Wir sind Christen.‘ Das ist so, weil es unter ihnen Priester und Mönche gibt und weil sie sich nicht hochmütig verhalten.“
Diese Anerkennung und das Lob des Korans gegenüber den Christen und ihren Geistlichen beschränkt sich nicht nur auf diesen Vers. Der Koran geht weiter und beschreibt die Eigenschaften der Christen im Vers 27 der Sure 57 wie folgt:
وَقَفَّيْنَا بِعِيسَى ابْنِ مَرْيَمَ وَآتَيْنَاهُ الإِنجِيلَ وَجَعَلْنَا فِي قُلُوبِ الَّذِينَ اتَّبَعُوهُ رَأْفَةً وَرَحْمَةً
»Dann ließen wir in Spuren (Abraham) unsere Gesandten folgen und ließen Jesus, den Sohn Marias, folgen und gaben ihm das Evangelium und pflanzten in die Herzen derer, die ihm folgten, Milde und Barmherzigkeit.“ (57:27)
Diese Eigenschaften – Bescheidenheit, Milde und Barmherzigkeit – werden im Koran als Merkmale der Anhänger des Evangeliums beschrieben. Gott pflanzte Milde und Barmherzigkeit in ihre Herzen, was sie zu Menschen macht, die von Mitgefühl geleitet sind und uns als Vorbilder für ein friedliches und verantwortungsbewusstes Miteinander dienen können. Diese göttliche Anerkennung lädt uns ein, die Brücke zu stärken, die unsere islamisch-christlichen Gemeinschaften verbindet.
Sie sollten wissen, dass wir Muslime in unserem Koran Verse zitieren, die voll des Lobes auf Jesus Christus, seine Mutter Maria und das Evangelium sind. Ich zitiere nur einen von vielen:
وَقَفَّيْنَا عَلَى آثَارِهِم بِعِيسَى ابْنِ مَرْيَمَ مُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ
وَآتَيْنَاهُ الإِنجِيلَ فِيهِ هُدًى وَنُورٌ وَمُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ وَهُدًى وَمَوْعِظَةً لِّلْمُتَّقِينَ
»In ihren Spuren ließen wir Jesus folgen, Marias Sohn; er bestätigte, was vor ihm von der Thora bestand. Ihm gaben wir das Evangelium. Darin ist Rechtleitung und Licht, und ist Rechtleitung und Ermahnung für die Gottesbewussten. « (5:46)
Diese Tradition zu pflegen, indem wir solche Verse nicht nur in unseren Gebeten und Predigten verlesen, sondern sie auch vorleben, sollte allen Muslimen Verpflichtung sein, und glücklicherweise gibt und gab es zu allen Zeiten überall Muslime, die danach leben.
Über das Judentum, die Thora, die jüdischen Geschwister und die Schnittmengen zwischen muslimischen und jüdischen Traditionen aus der islamischen Perspektive gibt es viele Lehren, die ich gerne einmal in einer Synagoge erklären würde, wenn ich dort eingeladen werde.
Meine Damen und Herren,
im Osten, in Ländern wie Syrien, Jordanien, dem Libanon, der Türkei, Ägypten und dem Heiligen Land, ist die islamisch-christliche Brüderlichkeit tief verwurzelt und im Alltag spürbar verankert. Gegenseitige Anerkennung und Solidarität sind dort zu einer lebendigen Tradition geworden, in der Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung Werte sind, die man teilt und pflegt.
In Europa hingegen hat der Zweite Weltkrieg, insbesondere der Völkermord an den europäischen Juden, tiefe Spuren hinterlassen. Die christlichen Kirchen müssen sich ihrer historischen Verantwortung stellen, angesichts der Gleichgültigkeit vieler gegenüber der Judenverfolgung und dem rassistischen Antisemitismus in Europa.
Diese Auseinandersetzung führte in Deutschland und Europa zu einem intensiven Dialog- und Annäherungsprozess zwischen Christen und Juden. Mit dem berechtigten Ziel, Hass und Vorurteile zu überwinden, entstand ein solides Fundament für das heutige christlich-jüdische Zusammenleben.
Somit existieren heute zwei starke Brücken: Im Osten verbindet die Tradition des Zusammenhalts Muslime und Christen, während im Westen der Dialog und die Solidarität, insbesondere zwischen Christen und Juden, gewachsen sind. Diese beiden Beziehungen zeigen uns, dass jede Gesellschaft ihre spezifischen Wege findet, das Miteinander zu gestalten.
So wie sich das westliche Europa nach den tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts entschlossen für ein respektvolles Verhältnis zwischen Christen und Juden eingesetzt hat, liegt es an uns, die bestehende Brücke zwischen Muslimen und Christen auch hier im Westen zu stärken und aus dem gemeinsamen Erbe eine kraftvolle Basis für eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.
Nach den jüdischen Pogromen im christlichen Spanien gewährten Muslime in Bosnien, Albanien und der Türkei den geflüchteten Juden Schutz. In Sarajevo wurde die Haggadah, ein berühmtes jüdisches Gebetbuch, während des verheerenden Krieges in den 90er Jahren von Muslimen bewahrt und beschützt. Auch standen die Juden während dieses Krieges an der Seite der Muslime, ebenso wie Christen in Gaza und im Libanon heute an der Seite der Muslime stehen und umgekehrt.
Diese unterschiedlichen Beziehungen und Erfahrungen – sei es jüdisch-christlich, christlich-muslimisch oder muslimisch-jüdisch – sind das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Ereignisse und entstanden jeweils in einem spezifischen Kontext. Was jedoch über den Kontext von Zeit, Ort oder gesellschaftlichen Ereignissen hinausgeht, sind die Grundwerte und Prinzipien, die universell gelten sollten:
Wir sind Brüder und Schwestern in den Wurzeln des Glaubens, stehen auf der Seite der Opfer – unabhängig davon, wer sie sind – und lehnen jede Form der Unterdrückung ab, egal wer der Täter ist. Um über diesen Grundsatz Einigkeit zu erzielen, appelliert der Koran in der Sure Al-Imran, die nach der Familie Jesu benannt ist, an Juden, Christen und Muslime folgendermaßen:
قُلْ يَا أَهْلَ الْكِتَابِ تَعَالَوْا إِلَى كَلِمَةٍ سَوَاء بَيْنَنَا وَبَيْنَكُمْ
»Ihr Buchbesitzer! Kommt her zu einem Wort zwischen uns und euch auf gleicher Basis, den wir und ihr gemeinsam haben«.
Dieser Grundsatz, den wir als Religionsgemeinschaften gemeinsam haben sollten, beinhaltet zwei Fundamente:
أَلاَّ نَعْبُدَ إِلاَّ اللَّهَ وَلاَ نُشْرِكَ بِهِ شَيْئً
وَلاَ يَتَّخِذَ بَعْضُنَا بَعْضًا أَرْبَابًا مِّن دُونِ اللَّهِ
1. »Dass wir nichts anbeten sollen außer Gott, und
2. dass wir uns nicht untereinander zu Herren nehmen sollen.« (3:64)
Dieser Vers ist eine kraftvolle Einladung zu einem respektvollen und konstruktiven Dialog. Er erinnert uns daran, dass wir als Menschen in unseren grundlegenden Werten und in unserer Würde verbunden sind. Keiner von uns besitzt Privilegien, die ihn über andere erheben, und niemand hat das Recht, andere zu unterdrücken oder sich über sie zu stellen. Diese Gleichheit vor Gott ist das Fundament einer gerechten Gesellschaft und fordert uns zu Bescheidenheit und Demut auf.
Alle Menschen sind, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Herkunft, vor Gott gleich und in ihrer Würde unantastbar. Unser Wohlstand und unsere Sicherheit sind voneinander abhängig. In dieser Erkenntnis liegt die wahre Stärke einer Gemeinschaft – wenn Menschen in gegenseitigem Respekt und im Bewusstsein ihrer gemeinsamen Menschlichkeit zusammenstehen.
Dieser Vers lädt uns ein, eine Haltung der Offenheit einzunehmen und in einen Dialog zu treten, der auf Gleichwertigkeit und Respekt basiert. Eine solche Haltung ist der erste Schritt, um Vorurteile zu überwinden und den Frieden zu fördern, den wir für eine gerechte und solidarische Zukunft benötigen.
Überheblichkeit, Exklusivismus und Fanatismus führen zu Dunkelheit, Spaltung und Zerstörung. Solche Haltungen blockieren den Weg zur Verständigung und untergraben die Harmonie zwischen uns. Sie errichten Mauern, wo Brücken notwendig wären, und bringen Leid, wo Versöhnung möglich sein könnte.
Der liebe Gott möchte, dass wir Menschen mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen im Hinblick auf die Grundwerte wie Menschenwürde, Frieden und Gerechtigkeit in Einheit leben. Wir dürfen uns in dieser Kernlehre der Religionen nicht spalten und dividieren lassen. Es ist bemerkenswert, dass ein Koranvers, der vor 1450 Jahren offenbart wurde, bereits vor der Polarisierung gewarnt hat, die wir heute spüren. Ich zitiere:
شَرَعَ لَكُم مِّنَ الدِّينِ مَا وَصَّى بِهِ نُوحًا وَالَّذِي أَوْحَيْنَا إِلَيْكَ وَمَا وَصَّيْنَا بِهِ إِبْرَاهِيمَ وَمُوسَى وَعِيسَى
أَنْ أَقِيمُوا الدِّينَ وَلا تَتَفَرَّقُوا فِيهِ
„Gott hat euch von der Religion nur das verordnet, was Er Noah geboten hatte und was wir dir (o Muhammed) eingaben und was wir Abraham, Mose und Jesus geboten hatten: Haltet euch an die Religionsprinzipien, und spaltet euch ihretwegen nicht!“ (42:13)
Meine Damen und Herren,
in der heutigen Zeit, in der die Kluft zwischen Religionen durch politische weltweit besonders groß zu sein scheint, fordern uns unsere gemeinsamen göttlichen Lehren, unsere Vernunft und die Grundsätze unserer Demokratie dazu auf, diese vermeintlichen Trennungen zu überwinden. Der Dialog und das Gespräch sind alternativlos. Ansonsten droht eine Zukunft, die von Hass und Feindschaft geprägt ist. Solche Spaltungen und die Angst vor freier Meinungsäußerung schaffen Misstrauen, fördern Vorurteile und verhindern, dass wir als Gesellschaft gemeinsam wachsen.
Deshalb darf der Dialog niemals abgebrochen werden, auch wenn er manchmal unbequem oder herausfordernd sein mag. Es liegt in unserer Verantwortung, die nächste Generation vor den Fehlern der Vergangenheit zu bewahren und den Weg für ein friedliches Miteinander zu ebnen. Das Ziel sollte eine Gesellschaft sein, in der Menschen aller Glaubensrichtungen und Kulturen zusammenleben, in der sie voneinander lernen und gegenseitige Achtung entwickeln.
Lassen wir uns also nicht durch Ereignisse, die weit von uns entfernt sind, oder durch politische Machtansprüche beeinflussen, sondern bewahren und pflegen wir die zwischenmenschlichen Beziehungen hier, wo wir Tür an Tür leben. Indem wir im Alltag, in unserer Nachbarschaft, unsere Menschlichkeit und die Werte des gegenseitigen Respekts und der Solidarität pflegen, setzen wir ein starkes Zeichen des Friedens und der Verständigung.
In Krisensituationen ist es entscheidend, dass religiöse Führer und Vertreter ihrer Glaubensgemeinschaften besonnen und weise handeln. Sie sollten als Vorbilder für Frieden, Mitgefühl und Verständnis fungieren und sich an den Grundwerten ihrer Religionen orientieren, die unter anderem in den Zehn Geboten enthalten sind. Diese Werte bieten eine ethische Grundlage, um konstruktiv auf Konflikte zu reagieren und den Dialog zu fördern. Indem sie ihren Einfluss nutzen, um Frieden, Gerechtigkeit und Eintracht zu fördern, können religiöse Führer helfen, Spannungen abzubauen und den Weg für eine harmonische Koexistenz zu ebnen.
Das stillschweigende Gutheißen von Gewalt, Terror, Krieg oder Vergeltung untergräbt die Glaubwürdigkeit religiöser Vertreter erheblich. Wenn sie Leid und Unrecht nicht offen verurteilen, verlieren ihre Worte über Frieden und Menschenrechte an Gewicht. Die moralische Integrität religiöser Führungspersönlichkeiten wird nicht nur an ihren Predigten gemessen, sondern daran, wie sie auf das Leid der Menschen reagieren. Ihre Verantwortung ist es, entschlossen für das Leben, die Würde jedes Menschen und den Frieden einzutreten – frei von politischen Einflüssen und unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen.
Nur wenn wir, die Vertreter der Religionen, uns konsequent für die Grundwerte unserer Religionen – Frieden, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit – einsetzen, können wir Vertrauen schaffen, Respekt gewinnen und Menschen dazu inspirieren, sich mit ihrer Religion verbunden zu fühlen. Viele Menschen wenden sich von den Religionen ab, weil sie beobachten, wie Religionen zunehmend für Machtzwecke instrumentalisiert werden. Wir können nur dann authentische Botschafter der Menschlichkeit sein, wenn wir kompromisslos für das eintreten, was das Heilige in uns anspricht und unseren Glauben ausmacht.
Jahwe, Gott, Allah – der eine und einzige Schöpfer, den wir in verschiedenen Sprachen und Traditionen anrufen – ist das Licht, das die Welt erhellt. Dieses göttliche Licht wurde uns nicht gegeben, um Feindschaft zu säen oder Spaltung zu schaffen, sondern um Einheit, Frieden und Orientierung zu schenken. Die Worte Gottes sollten niemals als Rechtfertigung für Gewalt, Krieg und Zerstörung missbraucht werden; vielmehr sind sie ein eindringlicher Aufruf, Kriege und Konflikte zu beenden, Brücken der Liebe und des Verständnisses zu bauen und uns aus der Dunkelheit der Intoleranz herauszuführen.
Unsere verschiedenen religiösen Lehren sind Leuchtfeuer, die uns den Weg zur Wahrheit und zum Guten weisen. Doch allzu oft neigen wir Menschen dazu, diese Botschaften zu verzerren und gegeneinander zu verwenden, anstatt ihr wahres Potenzial zu erkennen – nämlich ein Leben in Gerechtigkeit, Mitgefühl und Frieden zu fördern. Statt das Licht der Religion zu nutzen, um die Dunkelheit der Vorurteile zu vertreiben, wird es manchmal als Werkzeug der Spaltung und Intoleranz missbraucht.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns als Vertreter der Religionen fragen: Wann werden wir gemeinsam, entschlossen und unsere Stimme gegen den Krieg und das Leid unschuldiger Menschen erheben? Wann werden wir die Grundwerte unserer Religionen wieder in den Mittelpunkt stellen und gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben einstehen?
Ich werde nächste Woche einen Brief an Kardinal Marx, Landesbischof Kopp, die Präsidentin der IKG, Frau Knobloch, sowie an Oberrabbiner Goldschmidt, den Vorsitzenden der Europäischen Rabbinerkonferenz, senden. In diesem Schreiben rufe ich zu einer gemeinsamen Erklärung auf: ein eindeutiges Plädoyer
- für die Freilassung aller Geiseln,
- für den Stopp des Krieges,
- für die sofortige Bereitstellung humanitärer Hilfe,
- für eine gerechte und nachhaltige Lösung des Konflikts im Heiligen Land,
- für eine Zweistaatenlösung,
- sowie zur gemeinsamen Bekämpfung von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland.
Eine vereinte Stimme aller Religionen gegen jede Form von Hass ist in der heutigen Zeit von entscheidender Bedeutung, um den Menschen in unserem Land Halt und Orientierung zu geben. Dass Millionen von Menschen von Armut und Hunger bedroht sind – mitten im weltweiten Wohlstand – ist inakzeptabel. Damit das Leid der betroffenen Menschen endet, müssen wir mehr tun. Ich weiß, dass wir damit nicht alle Probleme lösen können, aber genau diese Stimme ist es, die die Mehrheit der Menschen in unserem Land hören möchte.
In der jüdisch-muslimischen Erzählung wird berichtet, dass der König Nimrod den Propheten Abraham in einen Feuerofen werfen wollte, um ihn zu bestrafen. In der muslimischen Version dieser Geschichte ist eine metaphorische Erzählung entstanden, in der gesagt wird, dass eine Ameise einen Wassertropfen genommen hat und sich auf den Weg gemacht hat, um das Feuer zu löschen und Abraham zu retten. Als die Ameise dazu angesprochen wurde, ob sie tatsächlich glaube, mit nur einem Wassertropfen das riesige Feuer löschen zu können, antwortete sie: „Ich weiß, dass ich das Feuer nicht löschen kann, aber ich möchte allen zeigen, dass ich nicht tatenlos zugeschaut habe und mich bemüht habe, das Feuer zu löschen.“
Die unschuldigen Kinder Abrahams werden heute ermordet, und mächtige Menschen scheitern oft daran, den Mut einer Ameise zu zeigen.
Meine Damen und Herren,
die wahre Kraft der Religion liegt in ihrer Fähigkeit, Herzen zu öffnen und Menschen miteinander zu verbinden. Diese Herzensöffnung beginnt mit einem schönen Wort. Der Koran lehrt uns, mit Weisheit und nur mit schönen Worten zu argumentieren und, falls es zu Diskussionen kommt, diese auf die bestmögliche Weise zu führen:
ادْعُ إِلَى سَبِيلِ رَبِّكَ بِالْحِكْمَةِ وَالْمَوْعِظَةِ الْحَسَنَةِ وَجَادِلْهُم بِالَّتِي هِيَ أَحْسَنُ
„Rufe auf zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Predigt, und streite mit ihnen auf gütigste Weise!“ (16:125)
Worte oder Parolen, die Juden, Christen, Andersgläubige oder Atheisten verletzen könnten, sind in jeglicher Form abzulehnen. Im Koran lehrt uns Gott durch das Beispiel von Moses und seinem Bruder Aaron eine tiefgründige Lektion in Respekt und Milde: Selbst als die beiden Gesandten zum Pharao geschickt wurden, der für große Verderbnis auf Erden verantwortlich war, empfahl Gott ihnen, mit „milden Worten“ zu sprechen.
اذْهَبَا إِلَى فِرْعَوْنَ إِنَّهُ طَغَى
فَقُولا لَهُ قَوْلا لَّيِّنًا لَّعَلَّهُ يَتَذَكَّرُ أَوْ يَخْشَى
»Geht hin, ihr beiden, zu Pharao: denn, wahrlich, er hat alle Grenzen der Gerechtigkeit überschritten! Aber sprecht auf milde Weise zu ihm, auf dass er sich besinnen möge« (20:44)
Diese Haltung des Respekts und der Milde – selbst gegenüber Andersdenkenden – ist ein grundlegendes Prinzip, das uns der Koran lehrt und das uns als Menschen und Gemeinschaft in der heutigen Zeit leiten sollte. Denn nicht Härte, Arroganz, Macht und Überheblichkeit gewinnen auf Dauer die Herzen, sondern das schöne Wort, Demut, Liebe und Menschlichkeit. Besonders heute brauchen wir eine Rhetorik, die verbindet und nicht trennt, eine Sprache, die alle Gesellschaftsgruppen gleichermaßen fördert und keine Gruppe ausgrenzt, sowie eine Ansprache, die auch Muslime, als marginalisierte Gruppe, lobt und anerkennt, anstatt immer wieder zu stigmatisieren. Es ist alarmierend, wie oft scharfe und spaltende Worte, die „die Anderen“ ausgrenzen oder abwerten, an Popularität gewinnen. Wir müssen uns fragen: Warum haben wir uns so sehr daran gewöhnt, mit Verachtung zu sprechen?
Es ist alarmierend, wie oft scharfe und spaltende Worte, die andere ausgrenzen oder abwerten, an Popularität gewinnen. Wir müssen uns fragen: Warum haben wir uns so sehr daran gewöhnt, mit Verachtung zu sprechen?
Das schöne Wort, das ist der Titel meines neuen Buches, das Anfang nächsten Jahres erscheinen wird. Bei der Recherche dazu bin ich auf eine Überlieferung gestoßen, die besagt, dass ‚Īsa ibn Maryam, Jesus, der Sohn Marias, eines Tages an einem Schwein vorbeiging und zu ihm sagte: »Gehe hin in Frieden!« Als man ihn fragte, warum er so höflich zu einem Schwein spreche, antwortete er: »Ich fürchte, dass meine Zunge sich an unhöfliche Worte gewöhnen könnte.« Diese Anekdote erinnert uns daran, dass die Art, wie wir sprechen, widerspiegelt, was wir im Herzen tragen.
Im selben Buch finden die Leser auch diese Überlieferung: Als einmal ein jüdischer Leichenzug durch die Straßen von Medina zog und der Prophet Muhammad, Friede sei auf ihm, aufstand, um dem Verstorbenen die Ehre zu erweisen, wurde er gefragt, warum er dies tue, obwohl der Verstorbene ein Jude war. Daraufhin antwortete der Prophet: »Ist es nicht eine Seele, die Respekt verdient? Ist er nicht ein Mensch, wie du und ich?!«
Diese beiden Beispiele von Jesus und Muhammad zeigen eindrücklich, wie sie die Menschen in die richtige Richtung lenken können. Die Sorge Jesu, dass seine Zunge sich an unhöfliche Worte gewöhnen könnte, erinnert uns an die Bedeutung einer respektvollen und achtsamen Sprache. Muhammads Handlung, einer jüdischen Seele Respekt zu erweisen, demonstriert, dass die Wertschätzung für das Leben und die Würde jedes Menschen unabhängig von seinem Glauben oder Hintergrund fundamental ist.
Besonders in unserer Zeit, in der wir aufeinander angewiesen sind, brauchen wir eine Sprache die Menschlichkeit widerspiegelt. Indem wir uns auf diesen Weg des Respekts und der Milde besinnen, schaffen wir eine Atmosphäre, die das Vertrauen stärkt. So öffnen wir die Türen zum Dialog und und ebnen den Weg für ein harmonisches Miteinander. Arroganz, Ausgrenzung und Verschlossenheit hingegen errichten Mauern und vertiefen die Spaltung zwischen uns.
Wenn wir über das Zusammenleben sprechen, sollten wir uns ehrlich fragen, wie wir miteinander reden und wie offen wir sind, einander wirklich zuzuhören. Vorurteile, Misstrauen und Ängste können nur dann überwunden werden, wenn wir uns ernsthaft bemühen, den anderen zu sehen und zu verstehen. Die Bereitschaft zu einem offenen Gespräch – ohne Vorurteile und ohne Unterstellungen – öffnet Türen und baut Brücken, die unsere Gesellschaft dringend brauchen.
Meine Damen und Herren,
ich glaube, dass wir uns alle bewusst sind, wie toxisch die Sprache und die Stimmung in unserer Gesellschaft und in der Welt sind. Wir sehen die gravierenden Folgen dieser negativen Stimmung: Der Antisemitismus hat derart zugenommen, dass sich manche jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht mehr sicher fühlen und ihre Kippa oder ihren Davidstern nicht ohne Angst tragen können. Als deutsche Muslime – oder Muslime in Deutschland – sprechen wir uns entschieden gegen Antisemitismus aus und dagegen aus, dass Konflikte aus anderen Regionen der Welt nach Deutschland getragen werden. Wir setzen uns für ein friedliches und respektvolles Miteinander hier ein, wo wir zuhause sind!
Ich appelliere an alle: Lasst uns nicht von den Wahnsinnstaten anderer, egal wo auf der Welt, beeinflussen – weder uns selbst noch den Islam. So wie wir das Christentum oder das Judentum nicht an den Taten Einzelner, Organisationen oder Regierungen messen, die Leid verursachen, muss es ebenso selbstverständlich sein, dass Extremisten, die den Islam missbrauchen, keineswegs für den Islam oder die Muslime stehen.
Wir müssen uns gegen die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung, gegen Extremismus aller Art, gegen Antisemitismus, -welcher zurecht gesellschaftlich geächtet ist-, gegen Islamfeindlichkeit, -welche dagegen oft salonfähig gemacht wird, und gegen antidemokratische Tendenzen verbünden.
Meine Damen und Herren,
seit fast 30 Jahren bin ich als Imam in Deutschland tätig und halte regelmäßig Predigten. In diesen drei Jahrzehnten habe ich schätzungsweise 2500 Predigten und Vorträge gehalten, wobei stets ein zentrales Thema im Fokus stand: das friedliche Zusammenleben sowie gegenseitiger Respekt und Anerkennung. Dennoch habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich darüber nachdenke, ob sich unser Zustand heute im Vergleich zu vor dreißig Jahren verbessert hat. Als Fazit meiner Beobachtungen kann ich sagen: In den letzten 30 Jahren haben immer mehr Muslime eine stärkere Identifikation mit Deutschland entwickelt, während die deutsche Gesellschaft weiterhin Schwierigkeiten hat, sich mit ihren Muslimen zu identifizieren.
Es ist tatsächlich schwer zu verstehen, warum so viele Menschen negativ über den Islam und Muslime denken, obwohl die Grundwerte des Islam von Respekt, Freundschaft, guter Nachbarschaft, Gastfreundschaft und Menschlichkeit geprägt sind. Ein Grund für dieses Missverständnis liegt oft in der einseitigen Darstellung des Islam und der Muslime in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung. Häufig werden extreme, negative Ereignisse betont, während die vielen positiven Beispiele und Beiträge von Muslimen zum Gemeinwohl kaum Beachtung finden.
Zudem sind viele Menschen nur oberflächlich oder gar nicht über die Lehren des Islam informiert und beziehen ihr Bild aus isolierten, aus dem Kontext gerissenen Zitaten oder extremistischen Darstellungen, die die wahre Botschaft und Werte des Islam nicht widerspiegeln. Fehlende Begegnungen und Dialogmöglichkeiten verstärken oft Vorurteile und sorgen dafür, dass falsche Bilder weiterbestehen.
Laut einer aktuellen Studie, die vor zehn Tagen veröffentlicht wurde, ist jede zweite Person muslimischen Glaubens in der EU im Alltag mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert – eine Zahl, die seit 2016 stark gestiegen ist. Muslimische Frauen, Männer und Kinder werden nicht nur wegen ihrer Religion zur Zielscheibe, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe, ihres ethnischen Hintergrunds oder weil sie Migrant*innen sind. Besonders betroffen sind junge Muslime, die in der EU geboren sind, sowie Frauen, die religiöse Kleidung tragen. Nahezu die Hälfte der muslimischen Personen (47 %) erlebt rassistische Diskriminierung; 2016 waren es noch 39 %. Unter den 13 untersuchten Ländern liegen Österreich (71 %) und Deutschland (68 %) an der Spitze. Diese Ergebnisse stammen aus dem jüngsten Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA).
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Frau Ataman, sagte dazu: „Die Muslimfeindlichkeit hat ein derart alarmierendes Ausmaß erreicht, dass wir reagieren müssen.“ Bis heute habe ich jedoch eine Stellungnahme des Kanzlers oder des Ministerpräsidenten Bayerns vermisst. Sind solche dramatischen antimuslimischen Entwicklungen in unserem Land kein Grund, öffentlich Stellung zu beziehen? Sind wir als muslimische Bürgerinnen und Bürger in diesem Land es nicht wert, dass die Politik ihre Stimme erhebt? Ein öffentliches und klares Bekenntnis seitens der Politik, die Rechte und das Wohlbefinden muslimischer Bürgerinnen und Bürger aktiv zu schützen, wäre ein starkes Zeichen gegen Ausgrenzung und für Solidarität.
Trotz der schlechten Stimmung, die uns Muslime traurig und nachdenklich macht, ermutigen die Imame die gläubigen Muslime, in jeder Freitagspredigt positiv zu denken, hoffnungsvoll zu bleiben und sich mit großem Engagement für dieses Land einzusetzen. Es ist entscheidend, dass wir nicht resignieren, sondern aktiv die Vielfalt fördern und Verantwortung als Teil der demokratischen Gesellschaft übernehmen. Für uns Muslime ist umso wichtiger, dass wir als Muslime weiterhin Brücken bauen und den wahren, respektvollen Geist des Islam durch Dialog, Bildung und unser tägliches Handeln vorleben. Nur so kann ein tiefes und differenziertes Verständnis für die Religion entstehen, das Vorurteile abbaut und Offenheit fördert.
Die Zukunft des Zusammenlebens in unserem Land hängt stark davon ab, wie wir als Gesellschaft auf diese Herausforderungen reagieren. Es wird entscheidend sein, wie wir Brücken bauen und nicht Mauern. Ebenso wird es darauf ankommen, wie die Politik, die jüdischen Gemeinden, die Kirchen, die Medien den Muslimen gegenüberstehen: ob sie sie als gleichberechtigte Menschen und Partner akzeptieren oder sie an den Rand drängen.
Der Mensch muss Respekt und Dialog erlernen. Eine Quelle von Feindseligkeiten, die gerade heute wieder traurige Aktualität gewonnen hat, muss die ganze Gesellschaft ablehnen: Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit; alle sind verbrecherische Haltungen und dürfen nicht toleriert werden.
Meine Damen und Herren,
als Schlusswort möchte ich Folgendes sagen: Der Islam, mit seinen spirituellen und sozialen Werten, bereichert das Gemeinwohl in Deutschland und stärkt die Demokratie. Es liegt an der Politik, dies zu erkennen und die Hand zur Kooperation mit Muslimen auszustrecken. Leider mangelt es oft am nötigen Willen der höchsten politischen Repräsentanten, konstruktive muslimische Kräfte zu unterstützen. Dieses Gefühl der Ausgrenzung führt dazu, dass Muslime sich weiter zurückziehen und in Parallelwelten abdriften. Eine solche Entwicklung ist nicht nur für Muslime problematisch, sondern sie belastet auch die Politik und die Demokratie selbst. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass alle Religionen gleichermaßen respektiert und gefördert werden, um ein faires und friedliches Zusammenleben zu gewährleisten.
Darüber hinaus sollten wir das Potenzial der muslimischen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht unterschätzen, insbesondere in Hinblick auf ihre Rolle bei künftigen Wahlen.
Es gibt keinen Zweifel, dass das Zusammentreffen von Religionen in Deutschland eine der interessantesten konkurrierenden Ereignisse der Geschichte des Landes ist. Was hier wichtig ist, ist die Tatsache, dass Judentum, Christentum und Islam sowie unterschiedliche Weltanschauungen sich nun nicht mehr ignorieren können, sondern sich im Sinne von Selbstbetrachtung aufeinander stützen müssen. Vorurteile existieren auf allen Seiten und führen sehr leicht zu Missachtung und Fehlverhalten. Dies müssen wir alle gemeinsam überwinden. Unterschiedliche Auffassungen können kein Hindernis sein um gemeinsame Werte zu entwickeln: In Pluralität leben üben und in guten Sachen wetteifern, so der Koran:
لِكُلٍّ جَعَلْنَا مِنكُمْ شِرْعَةً وَمِنْهَاجًا وَلَوْ شَاء اللَّهُ لَجَعَلَكُمْ أُمَّةً وَاحِدَةً وَلَكِن لِّيَبْلُوَكُمْ فِي مَا آتَاكُم
فَاسْتَبِقُوا الْخَيْرَاتِ إِلَى اللَّه مَرْجِعُكُمْ جَمِيعًا فَيُنَبِّئُكُم بِمَا كُنتُمْ فِيهِ تَخْتَلِفُونَ
»Für jeden von euch haben Wir Richtlinien und eine Laufbahn bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte euch aber in alledem, was Er euch gegeben hat, auf die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins wart.« (5:48)
So wie es in diesem Koranvers zum Ausdruck gebracht wird, sollten die Unterschiede eine Motivation sein, sich im Einsatz für das Gute zu messen. Wir können und müssen nicht die gleiche Meinung teilen; was wir jedoch können und müssen, ist, die eigenen Überzeugungen zu lieben und andere zu respektieren.
Meine Damen und Herren,
Materialismus, Wirtschaftskrise, Egoismus, Kriege, Verfall der religiösen und menschlichen Werte machen es allen Religionsgemeinschaften nicht gerade leicht, eine leitende Funktion in der Gesellschaft zu übernehmen. Trotzdem ist dies alles kein Grund zur Resignation. Durch Aktivierung des Guten, das bei jedem zu finden ist, und Motivierung des Einzelnen, sich für Recht und Gerechtigkeit und gegen Fremdfeindlichkeit einzusetzen, können die Religionen wieder eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft spielen.
Das Zusammenleben, wie ich es aus der Perspektive des Islam verstehe, beruht auf den Werten des Respekts, der Barmherzigkeit, der Verantwortung füreinander sowie der Bejahung des Grundgesetzes als gemeinsames Fundament für unser Miteinander. Der Glaube und das Mitgefühl dürfen nicht nur nach innen wirken, sondern müssen nach außen strahlen und aktiv gelebt werden.
Meine sehr verehrten Geschwister,
ich beende meine Rede mit demselben Vers, mit dem ich und alle Imame ihre Freitagspredigt beenden:
إِنَّ اللَّهَ يَأْمُرُ بِالْعَدْلِ وَالإِحْسَانِ وَإِيتَاء ذِي الْقُرْبَى وَيَنْهَى عَنِ الْفَحْشَاء وَالْمُنكَرِ وَالْبَغْيِ يَعِظُكُمْ لَعَلَّكُمْ تَذَكَّرُونَ
»Gott gebietet Gerechtigkeit und Gutes zu tun und Großzügigkeit gegenüber den Mitmenschen; und Er verbietet alles, was schmachvoll ist und Gewalttätigkeit. Er ermahnt euch. Vielleicht lasst ihr euch mahnen! « (16:90)
LASS UNS BETEN!
Gelobt seiest Du, Herr unser Gott, Herr der Welt.
Du bist der Erbarmer, der Barmherzige.
Du bist unsere einzige Zuflucht.
Heute stehen wir gemeinsam vor Dir und beklagen unsere Ohnmacht.
Wir fühlen uns hilflos, aber nicht hoffnungslos.
Wir danken Dir für jeden schönen Moment, den Du uns gegeben hast.
Möge unsere Dankbarkeit uns stärken und uns daran erinnern,
dass selbst in schwierigen Zeiten Deine Güte uns umgibt.
Führe uns auf dem Weg des Friedens und der Einheit,
damit wir als Gemeinschaft zusammenstehen,
einander unterstützen und die Werte des Mitgefühls und der Barmherzigkeit leben.
Mögen unsere Herzen offen sein für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen,
und mögen wir die Kraft finden, für Gerechtigkeit und Verständnis einzutreten.
Wir bitten Dich um Weisheit,
um in dieser herausfordernden Zeit die richtigen Schritte zu unternehmen,
und um den Mut, das Gute zu fördern und das Böse zu bekämpfen.
Lass uns nicht in Verzweiflung verfallen,
sondern in der Hoffnung auf ein besseres Morgen leben.
Lass die Menschen in gegenseitigem Respekt und Würde leben.
Lieber Gott,
Heute sind wir alle eine Stimme und sprechen ein Bittgebet für eine Welt,
in der niemand um sein Leben bangen muss,
in der niemand gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen,
in der keine Mutter am Verlust ihres Kindes leidet,
und in der die Menschen nicht zu Werkzeugen der Zerstörung des Lebens werden.
Erbarme Dich der unschuldigen Opfer und aller,
die unter schwersten Bedingungen leiden.
Lass uns mit Mitgefühl und Solidarität handeln,
um das Leid zu lindern und Frieden zu stiften.
Möge Deine Gnade alle erreichen, die in Not sind,
und möge Deine Weisheit uns leiten,
damit wir eine bessere Zukunft für alle Menschen aufbauen können.
Möge aus der heutigen Veranstaltung eine Hoffnung für morgen erwachsen!
Amin!
Siehe Artikel dazu
- Imam Idriz will interreligiöse Erklärung zu Nahost-Frieden | BR24
- Imam Benjamin Idriz hält Kanzelrede in Schwabinger Erlöserkirche – München – SZ.de
- München: Imam Idriz hält als erster Muslim Kanzelrede in der Erlöserkirche – SZ
- Imam Idriz will interreligiöse Erklärung zu Nahost-Frieden anstoßen – Sonntagsblatt
- Imam Idriz: Islam kann Demokratie in Deutschland stärken – Evangelische Zeitung
- Imam Idriz will interreligiöse Erklärung zu Nahost-Frieden anstoßen – Evangelische Zeitung