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Islam und Grundgesetz

von | 23. Nov 2009 | Publikationen

„60 Jahre Grundgesetz – auch für Muslime in Deutschland“ dazu haben Sie, verehrter Herr Innenminister Herrmann, zu Recht gesprochen. Sie vertreten unser Grundgesetz und Sie sind der Innenminister auch von Muslimen in Bayern. Dennoch stellte sich für mich die Frage, ob vielleicht nicht „60 Jahre Grundgesetz – für alle Menschen Deutschlands”, treffender wäre, denn schließlich sind ja nach Artikel 3 „Alle Menschen gleich vor dem Gesetz“!

Seit nunmehr 15 Jahren bewege ich mich rege in muslimischen Kreisen, bislang bin ich nicht Zeuge davon geworden, dass weder Vertreter von Muslimen noch Sie selber, ein anderes Gesetz neben dem Grundgesetz, erwähnt hätten. Das war so und es wird auch so bleiben. Ohne den kleinsten Anschein von Zweifel bekunden wir unseren Respekt und unsere uneingeschränkte Loyalität zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, für heute und ewig. Und dies tun wir vor allem deshalb, weil es unserer religiösen Grundüberzeugung und unseren Verpflichtungen als Bürger dieses Landes entspringt.

Erlauben Sie, mit der Brille eines Theologen nach der entscheidenden Komplexität „Grundgesetz, Recht und Islam“ zu fragen, inwieweit mir das nun noch in den 6 Minuten auch gelingen mag. Gott offenbarte Mose den Nomos, das Gesetz, das im alten und im neuen Testament weiter verfolgt wurde und als Dekalog Jesus ebenso auffasste und schließlich Muhammed mit dem Namusu Al Akber, mit dem Grundnomos, das positive Gesetz und die sich daraus erschließende „islamische Recht“ einzusetzen.

Sei es im Alten, Neuen oder im Letzten Testament, wie wir den Koran verstehen, konzentrieren sie ihre Maxime, so wie es etwa der Koranvers 5:32 ausdrückt: „Wenn jemand einen Menschen tötet, es so sein soll, als hätte er die ganze Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, es so sein soll, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten.“

Gottes würdigstes Geschöpf, der Mensch, wird unter Schutz eines ebenso würdevollen Lebens gestellt, indem Gott selber Grundnormen zuweist, aber viel essentieller den mit Verstand ausgekleideten Menschen die Aufgabe überträgt, selbst Gesetze im Sinne Seiner zu entwickeln. Daraus resultierend ist es auch im Sinne Gottes, dass seine Intelligenten Menschen heute in unserem Grundgesetz den einwandfreien Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ verankert haben.

Weiterhin bleibt eine Frage im Raum: Fordert der Islam nun einen Staat mit „göttlichen Gesetzen“ oder für uns heute Abend die relevante Frage: Ist unser Grundgesetz mit den islamischen Maßstäben vereinbar? Eines möchte ich vorab dezidiert betonen: Die Terminologie eines „islamischen Gottesstaates“ ist den islamischen Literaturquellen fremd und konträr. Der Islam kennt keinen Gottesstaat. Er fordert einen auf Gerechtigkeit und Recht fundierten Idealzustand in Gesellschaften. Welches politische System auch immer, wenn es der Menschenwürde und einem Gerechtigkeitssinn gewidmet ist, dort ist der Islam heimisch. Das bezeichnen wir heute als freiheitliches demokratisches Grundgesetz.
Sowohl der Nomos, als auch der Dekalog, also auch „Namus al-Akbar“ gründen im Dreieck der Offenbarungsbotschaften Moses – Jesus – Muhammed auf fünf Grundwerte, diese sind:

1. Religions- und Glaubensfreiheit „din“
2. Schutz der Vernunft und Freiheit der Meinung „nafs“
3. Recht auf Leben „aql“
4. Schutz des Eigentums „mal“
5. Schutz der Nachkommen „nasl“

Somit steht islamisches Recht autark für Schutz und Sicherheit; des Lebens, des Glaubens, des Eigentums, der Ehre, der Nachkommenschaft. Und eben nicht dafür, wie wir diese Wege mit Strafen erzielen. Die Garantie einer würdigen Gesellschaft, liegt in der Obhut der allgemeingültigen Grundrechte, deren sich Zivilisationen, reichlich politische Systeme und Gesellschaften verdanken.

Wenn ich in meinem Grundgesetzbuch lese, so finde ich nicht die kleinste Spur eines Verstoßes der soeben erwähnten 5 Grundwerte und muslimischen Glaubensprinzipien und sollte für manch weniger entwickeltes Rechtssystem vorbildhaft wirken. Und auch wenn wir uns der Annahme widmen, dass unser Grundgesetz den 5 Grundwerten nicht entsprechen würde, so sind Muslime dennoch dazu angehalten, sich den jeweiligen Gesetzesstrukturen gegenüber treu und loyal zu verhalten.

So haben die muslimischen Gelehrte am 9. Juli 2006 (16/1) folgendes erklärt:
„Für Muslime die die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes besitzen, laut ihres vereinbarten staatsbürgerlichen Vertrages, nach der Sure 5 Vers 1 „O ihr, die ihr glaubt, erfüllt die Verträge“ den Gesetzen des Landes verpflichtet sind. Wer nicht Staatsbürger ist und einen Aufenthaltsstatus besitzt, laut ihrem geschlossenen Aufenthaltsvertrag, nach Sure 17:34 „Und haltet die Verpflichtung ein; denn über die Verpflichtung muss Rechenschaft abgelegt werden“ den Gesetzen des Landes gebunden sind. Wer Gesetze und Vereinbarungen übertritt, wird dazu auch vom Propheten getadelt: „Wer vertrauensunwürdig handelt kann nicht Glauben und wer sein Wort bricht kann keine Religion besitzen.“

Dass es zwischen den Gesetzen Gottes und den Gesetzen menschlicher Einwirkung Abstufungen gibt, belegt der Vers „O ihr, die ihr glaubt, gehorcht Gott und gehorcht dem Gesandten und denen, die unter euch Befehlsgewalt besitzen.“ Also wird zum einen befohlen, den Gesetzen Gottes und der Propheten folge zu leisten, aber auch den positiven Gesetzen von Kräften, eben der höchsten Autoritäten, die sich in unserem Land in unserem Grundgesetz niederschlägt zu folgen. Daraus ergeben sich keine konkurrierenden Systeme, vielmehr verstehen sie sich als ergänzende und bereichernde Folge.

Der Islam sieht die Gewaltenteilung von Staat und Religion getrennt vor. Reichlich Islamisches Schriftgut verweist auf ein bedeutungsvolles Zitat (II. Kalif Omar): „Was Gott im Koran nicht anordnete, ordnet er in den Gesetzen“. Ein klarer Hinweis auf die Gewaltenteilung.

Schlussfolgernd überzeugt der Koran mit ethischem Grundverhalten und bedeutet für mein Leben Handreichung im geistig-moralischem, mein Grundgesetz mit den Rechten und Verpflichtungen die Handreichung im weltlichen Gefüge. Göttliche Gesetze und Gesetze von Staaten bedürfen keiner Polarisierung, vielmehr sollten sie ihrer gleichberechtigten Existenz entlassen werden. Kurz zusagen, der Islam ist konform mit unserem Grundgesetz! Aber wo liegt dann die Schwäche?

Europa schaffte es nach bitteren Erfahrungen, Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrem Werte und Normenkodex zu etablieren und bis ins Staatsgebilde einzubringen. Damals hatte man wohl kaum Muslime im Visier. Heute stören sich manche Mächte an dem Profit, der dabei für die Muslime hervorgeht. Eine Vielzahl der in Europa beheimateten Muslime entwurzeln despotischen Regimen, denen Menschenrechte und Freiheit der eigenen Person kaum etwas aussagen. Das mag auch der Grund dafür sein, warum Muslime in Europa der Demokratie, dem Rechtsstaat, den Menschenrechten, der Freiheit und Unabhängigkeit mehr beimessen, als manch ein Europäer. Wir stehen uneingeschränkt zu diesen Werten und Ermüdungserscheinungen wird es nicht geben, denn diese Werte sind unser aller Boot, wenn wir es warten, trägt es uns, wenn wir es demolieren, gehen wir unter.
Meine Freitagspredigt anlässlich der Feierlichkeiten zum runden Geburtstag unseres Grundgesetzes, fand nicht nur unter hunderten von Muslimen in meiner Gemeinde in Penzberg großen Zuspruch, auch weit darüber hinaus wurde ich hierzu beglückwünscht. Und es wird mich auch zukünftig nicht in Ruhe lassen, mich dem Gemeinwohl unserer Gesellschaft zu widmen, auch wenn Organe unseres Staates meinen, widersprüchliches zu berichten. Hier möchte ich eine Klammer öffnen: Wie auch immer wir uns verhalten, werden wir von gewissen Kreisen beschuldigt: Wenn wir, wie es die Mehrheitsgesellschaft erwartet, dazu aufrufen, dass Muslime sich in die Gesellschaft einbringen und sich mit dem Grundgesetz identifizieren sollen, werden wir beschuldigt, werden wir „verschleiernder islamistischer Expansionsbestrebungen“ beschuldigt. Tun wir es nicht, ergeht der Vorwurf von Abschottung und Parallelgesellschaft. Der Integration und dem friedlichen Zusammenleben wird auf diese Weise immenser Schaden zugefügt. Leider gibt es in der Mehrheitsgesellschaft Kräfte, die eine erfolgreiche Integration von Muslimen zu verhindern suchen. Staat und Gesellschaft müssen dem gemeinsam entschlossen entgegenwirken. Klammer zu.

Die Geschichte kennt genug Gewalt und Unrecht im Namen Gottes, um in der aufgeklärten Welt den Glauben von Rechtsprechung und Justiz fernzuhalten. Genau für diesen Fall haben wir ein Grundgesetz. Darin sind die Kernwerte dokumentiert, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Darüber kann es keine Debatte geben.

Und eins noch: Nein zur Islamisierung, ja zur Insanisierung (Humanisierung) unseres Landes!

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