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Der Islam ist ein Teil Europas

10. Jun 2014 | Allgemein

Adelbert Reif im Gespräch mit Imam Benjamin Idriz über Muslime in Deutschland und ihren Anspruch auf Respekt

Benjamin Idriz steht im Ruf, der fortschrittlichste islamische Geistliche Deutschlands zu sein. Als Symbolfigur
für die geglückte Integration einer islamischen Gemeinschaft in die Mehrheitsgesellschaft repräsentiert der aus Mazedonien stammende Imam im oberbayerischen Penzberg einen weltoffenen, transparenten Islam. Er setzt sich für die Schaffung eines muslimischen Zentrums ein, in dem der Islam eine von der europäischen Kultur bestimmte Interpretation erfährt, und tritt für eine Ausbildung von Imamen in Deutschland ein. Das schützt ihn und seine Gemeinde freilich nicht vor islamphobischen und politischen Anfeindungen rechtskonservativer Kreise. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Grüß Gott, Herr Imam“ (Diederichs Verlag, München 2010) berichtet Benjamin Idriz über sein bisheriges Wirken im Sinne eines umfassenden interreligiösen und gesellschaftlichen Dialogs sowie über seine Zielsetzungen für die nächste Zukunft.

Herr Imam Idriz, wie ist es zu erklären, dass sich ausgerechnet eine muslimische Gemeinde in der kleinen oberbayerischen Stadt Penzberg, der Sie seit 15 Jahren als Imam vorstehen, zu einem Zentrum modernen Islams mit Vorbildcharakter und weitreichender Strahlkraft auf ganz Deutschland entwickelt hat?

Idriz: Hinter dem Erfolg steht unsere Unabhängigkeit. Wir sind im Unterschied zu anderen Moschee-Gemeinden frei von allen Dachverbänden und gestalten unser Gemeindeleben nach unseren Vorstellungen. Einziges Kriterium des Vorstandes bei seinen Entscheidungen sind die Bedürfnisse der Menschen in der Gemeinde. Als Imam kenne ich die Herausforderungen und schlage eine Brücke zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Auf diese Weise haben wir in diesem oberbayerischen Umfeld eine Atmosphäre geschaffen, die man vielleicht in anderen Städten nicht findet. Für mich ist die Meinung des hiesigen Bürgermeisters wichtiger als die irgendeines Dachverbandes.

Wenn die Gemeinde unabhängig von anderen muslimischen Organisationen ist, wie trägt sie sich wirtschaftlich?

Idriz: Die islamische Gemeinde Penzberg wurde 1995, noch bevor ich hierherkam, von Muslimen vor Ort gegründet. Das Gemeindeleben, einschließlich der Miete für die Räumlichkeiten und meines Lohnes, finanzierte sich aus Spenden. Auch das Grundstück für die Moschee erwarben wir 2000 mit Spendengeldern. Weder vom Staat, noch von anderen Religionsgemeinschaften erhielten wir eine Unterstützung. Die Gemeindemitglieder zeigten sich dagegen ungemein großzügig. Sie verzichteten auf Urlaubsreisen und Autokäufe, damit wir das Grundstück kaufen konnten. 2003 begannen wir mit dem Bau der Moschee. Die Baukosten überstiegen dann allerdings unsere Möglichkeiten. Ein solcher Bau war nicht zu realisieren ohne eine große Spende. Und da gelang es mir, den Emir vom Emirat Schardscha der Vereinigten Arabischen Emirate, der im Bereich Kultur, Dialog und Völkerverständigung viel investiert, für das Projekt zu begeistern.

Die Penzberger Moschee steht am Rande der Stadt. Ähnlich werden in den meisten anderen Städten Deutschlands Moscheen in Randzonen angesiedelt oder Gebetshäuser in Hinterhöfe verbannt. Wie empfinden Muslime das?

Idriz: Wenn die städtischen Verantwortlichen, die für den kommunalen Moscheebau zuständig sind, die Muslime absichtlich in Stadtviertel fern des Zentrums schicken, in denen niemand sie sieht, dann ist das eine falsche Politik. Denn damit schafft man gerade die so unerwünschten Parallelgesellschaften. Aus kommunalpolitischer Sicht ist es besser, die muslimische Gemeinschaft in das Zentrum zu integrieren. Andererseits verstehe ich Menschen, die nicht sofort in der Lage sind, zu akzeptieren, dass Moscheen im Stadtzentrum gebaut werden. Ungeachtet der Religionsfreiheit, die uns das Grundgesetz zusichert, sind auch wir Muslime verpflichtet, die christlich geprägte Kultur dieses Landes zu respektieren, und wenn wir irgendwo einen Platz finden, um dort eine Moschee zu bauen, sollten wir zufrieden sein. Schauen Sie aber auf das Signal, das wir jetzt von der Stadt München bekommen! Der Oberbürgermeister befürwortet einen Moscheebau im Stadtzentrum. Das zeigt, dass auch bei den Politikern eine positive Entwicklung eingesetzt hat, wenn wir in München ein Islamisches Zentrum errichten, an der Stelle, wo wir uns das wünschen, dann entsteht ein Viereck aus den beiden christlichen Kirchen, einer Synagoge und einer Moschee. Damit machen wir Geschichte in Europa. Auch ist es eine wichtige Botschaft an die islamischen Länder. Wenn die Europäer den Muslimen erlauben, eine Moschee zu bauen, warum sollen sie nicht auch eine Kirche erlauben? In dieser Hinsicht können wir ein Beispiel setzen für viele muslimische Länder.

Dieses „Zentrum für Islam in Europa – München“ ist im Sinne der verstärkten Repräsentation eines weltoffenen Islams Ihr großes Ziel. Wie weit ist das Projekt gediehen?

Idriz: Meine Mitstreiter und ich haben in Penzberg Erfahrungen gesammelt, auf die wir in München aufbauen können. Unsere Philosophie war damals, dass, wenn wir etwas erreichen wollen, wir es mit allen Bürgern, den staatlichen Behörden und den kommunalen Politikern erreichen müssen. Denn es geht um unser gemeinsames Interesse. Darum haben wir diese Initiative „Zentrum für Islam in Europa – München (ZIE-M)“ geschaffen. Der Name macht vielleicht etwas Angst. Man denkt an ein Zentrum für alle Muslime in Europa. Aber darum geht es nicht. Was wir anstreben, ist ein Zentrum für Muslime, die sich mit Bayern, Deutschland und Europa identifizieren und in dem wir den Islam in europäischem Kontext interpretieren. Diese Initiative ist eine Antwort auf einen Bedarf. Denn es gibt zahlreiche Muslime, die sich europäisch fühlen und mit den vorhandenen religiösen Gemeinschaften nicht zufrieden sind. Die suchen nach solchen Interessen. Wir haben ein Konzept erstellt und dieses an das Innenministerium, die Staatskanzlei, den Stadtrat und alle Fraktionen geschickt. Es stieß auf breites zustimmendes Echo. Anschließend führten wir ausführliche Diskussionen. Damit trat die einmalige Situation ein, dass die Initiative von allen Fraktionen unterstützt wird. Auch die evangelische und katholische Kirche stehen hinter dem Projekt und Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hat die Initiative ebenfalls begrüßt.

Sie gelten als Deutschlands fortschrittlichster Imam…

Idriz: Ich bin selbst Europäer. Ich kenne keinen anderen Kontinent, auf dem ich mich wohlfühlen könnte und es gibt für mich keine andere Identität, die ich annehmen möchte, als die europäische. Wenn ich an Kollegen denke, die aus anderen Ländern kommen, um für eine gewisse Zeit in Deutschland als Imam tätig zu sein, deren Seele wird immer dort, woher sie gekommen sind, bleiben. Viele von ihnen lassen auch ihre Familien dort. Sie warten nur auf den Tag, an dem sie wieder zurück dürfen. Ein solcher Imam kann nicht progressiv sein. Er hat keine Visionen oder Zukunftsbilder für das religiöse Leben hier. Meist erleidet er bei seinem Eintreffen einen Kulturschock. Er kann die Mentalität der muslimischen Kinder und Jugendlichen hier nicht verstehen.

Wird der Islam in den meisten muslimischen Gemeinden Deutschlands noch immer in einer – aus westlicher Sicht – antiquierten, unzeitgemäßen Form vermittelt und gelebt?

Idriz: Europa versucht besonders in der letzten Zeit, den Islam so darzustellen, als sei er überhaupt nicht kompatibel mit der europäischen Welt. Er sei nicht zeitgemäß und gehöre zu einem anderen Kontinent. Wer solche Meinungen vertritt, kennt die Geschichte nicht. Der Islam hat Europa sehr stark geprägt. Er ist Teil von Europa wie das Judentum und das Christentum. Viele Menschen vergessen, dass auch das Judentum und das Christentum aus dem Osten kommen und sich hier integriert haben. Wer heute stolz auf Aufklärung und Humanismus sein will, der muss wissen, dass diese geistigen Strömungen ihren Ursprung im Islam haben. Hinter ihnen steht die Philosophie von Aristoteles, dessen Werke von dem spanisch-arabischen Philosophen Ibn Ruschd, genannt Averroës, kommentiert wurden. Es war damals in Europa unvorstellbar, sich mit der Philosophie von Aristoteles zu befassen, ohne die Kommentare von Ibn Ruschd zu lesen. Thomas von Aquin setzte sich mit den Werken von Aristoteles auseinander und wenn er auf ein Problem stieß, suchte er Rat in den Schriften von Ibn Ruschd. Sei es in der Kultur, Philosophie, Astronomie, Mathematik, Medizin, auf allen Gebieten waren es die Werke von Muslimen, die die neuen Entwicklungen auslösten.

In Ihrem gerade erschienenen Buch „Grüß Gott, Herr Imam“ beschreiben Sie Ihr „Penzberger Modell“ eines weltoffenen, transparenten, auf interreligiösen und gesellschaftlichen Dialog ausgerichteten Islams…

Idriz: Ich habe in letzter Zeit viele islamische Gemeinden kennengelernt und eine Reihe negativer Entwicklungen beobachtet. Nicht nur ich, auch andere Muslime, die in solchen Gemeinden tätig sind, üben Kritik an der Arbeit der islamischen Dachverbände. Ich habe bei Muslimen mangelndes Interesse an Integration bemerkt und festgestellt, dass sie keine große Neigung zeigen, sich mit Deutschland zu identifizieren. Gleichzeitig beobachte ich eine Hetze gegen den Islam und die Muslime, eine Politik der Ausgrenzung der Muslime aus der Mehrheitsgesellschaft. Wie viele andere Muslime auch überkommt mich in letzter Zeit das Gefühl, dass wir in diesem Land nicht erwünscht sind und dass es keinen Sinn mehr macht, hier zu leben. Insbesondere die jüngsten Diskussionen über den Islam in Deutschland und Anfragen, die ich bekam, sowie zahlreiche Begegnungen in Penzberg motivierten mich, dieses Buch zu schreiben. In den letzten fünf Jahren besuchten uns etwa 20 000 Nichtmuslime in Penzberg. Dabei kamen immer wieder dieselben Themen zur Sprache wie Frauen im Islam, Gleichberechtigung und Kopftuch, Ehrenmorde und Scharia sowie Grundgesetz und Dschihad. Vor diesem Hintergrund war es notwendig, etwas Schriftliches zu verfassen, damit auch Muslime etwas in der Hand haben. Meine Gemeindemitglieder hatten mich in der Vergangenheit wiederholt aufgefordert, meine Aussage schriftlich niederzulegen. Die Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz war ein weiterer Faktor.

Seit mehr als drei Jahren wird die Islamische Gemeinde Penzberg im Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern erwähnt. Überzeugende Gründe dafür werden nicht genannt. Was wirft man Ihnen, was wirft man der Gemeinde vor?

Idriz: Mir scheint, dass einige Angehörige des Verfassungsschutzes einen moderaten Islam in Deutschland verhindern wollen. Ich habe mit denen auch schon gesprochen. Es geht ihnen nicht um Islamismus oder Extremismus, sondern um den Islam. Und was sie gar nicht wollen, sind erfolgreiche muslimische Persönlichkeiten. Denn für sie ist der moderne integrative Islam gefährlicher als extremistische Islamisten. Leider haben diese Angehörigen des Verfassungsschutzes großen Einfluss auf Behörden und Politiker. Der Verfassungsschutz ist ohne Frage ein elementares Organ, welches wir hoch schätzen. Auch unser Beitrag aus Penzberg ist aktiver Schutz der Verfassung. Das Problem liegt nicht bei diesem Organ, sondern bei Fehlgedanken einiger Mitarbeiter. Wie man mit uns umgegangen ist, wäre man mit keiner anderen religiösen Gemeinde verfahren, weder mit einer christlichen, noch mit einer jüdischen, noch mit eine anderen muslimischen Gemeinde.

Im Vorwort Ihres Buches schreiben Sie, dass die Gemeinde „den Druck kompromissloser Islamfeindlichkeit in den letzten Jahren zunehmend zu spüren bekommen“ habe…

Idriz: Es gibt in München einen Verein, der sich Bürgerbewegung Pax Europa nennt. Das ist seine sehr islamfeindliche Gruppe. Seit 2002 betreibt z.B. auch die „Politically Incorrect“ Hetze gegen Islam und Muslime durch ihre Webseite. Die Mitglieder dieser Gruppe sind überall unterwegs, wo eine Veranstaltung über den Islam stattfindet, um zu stören und zu hetzen. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, melden sie sich zu Wort und stellen Suggestivfragen nach der Scharia oder den Steinigungen, den Menschenrechten im Islam oder Koranversen über Krieg und Tod. Die Mitglieder des Vereins kamen auch nach Penzberg. An einem Feiertag der evangelischen Kirche stellten sie sich mit Kameras vor die Kirche und fragten die Bürger, was sie davon hielten, dass der Imam Idriz vom Verfassungsschutz beobachtet werde.

Dann gibt es eine weitere Gruppe, die Flugblätter mit einem Bild verteilte, auf denen gefordert wurde, dass ich nach Hause zurückkehre. Diese Kampagne läuft intensiv seit drei Jahren. Aber das Innenministerium nannte das Meinungsfreiheit. Das ist das Problem, dass die Politiker die Meinungsfreiheit als Deckmantel für Islamkritik benützen. Die können uns beleidigen, verletzen, beschimpfen. Alles ist erlaubt. Kein Politiker hat sich bisher zu dieser Hetze gegen den Islam und die Muslime geäußert, trotz des Artikels 3, Absatz 4 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, welche Hetze gegen ein Volk als Straftat betrachtet.

Die jüngsten Umfragen in Deutschland zur Integration von Muslimen sind niederschmetternd. Danach empfinden vierzig Prozent der Deutschen die Existenz einer muslimischen Gemeinschaft als „Bedrohung“ der Identität ihres Landes. Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Zukunft?

Idriz: Es leben in Deutschland fünf Millionen Muslime. Sie haben dazu beigetragen, dass dieses Land wirtschaftlich, politisch und kulturell so wunderbar ist. Darum erwarten sie Respekt und nicht Ausgrenzung. Vor allem die ständige Forderung, die Muslime müssten sich zu den Werten in Deutschland bekennen, wirkt verletzend. Wer hat diese Werte infrage gestellt? Wer hat Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit in Deutschland infrage gestellt? Die Muslime nicht. Weder auf der Straße, noch in den Moscheen demonstrieren sie gegen das Grundgesetz. Sie sind hier mit der Demokratiemehr als zufrieden. Mit den ewigen Mahnungen aber wird suggeriert, als wollten die Muslime ein anderes System als die Demokratie. Aufs Spiel gesetzt werden diese Werte, wenn wir Kriege führen in anderen Ländern, wenn wir gegenüber Muslimen eine andere Politik verfolgen als gegenüber Nichtmuslimen und wenn Muslime aufgrund ihrer Religion stigmatisiert werden. Der Islam ist ebenso wenig eine Gefahr für Europa wie das Christentum. Extremismus, Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus und Antiislam sind die Gefahren für Europa. Die Situation ist nicht gut. Als Beobachter von außen sehe ich ein gefährliches Bild.

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