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Frau

Wird die Frau im Koran geschlagen?

5. Apr 2014 | Frau

Die Gründe, die Männer zur Gewaltanwendung an Frauen ver­leiten, sind zum einen ihre körperliche Schwäche und Emotionalität, zum anderen aber auch ihre Intelligenz und ihre Talente. Die Sitte, brutal gegen Frauen vorzugehen, ist so alt wie die Menschheit. Doch ein Mann beweist dadurch keine Stärke, sondern Ohnmacht und Feigheit. Durch die unterschiedlichen Vorzüge, die Gott Mann und Frau geschenkt hat, entstehen Reibungspunkte zwischen den Partnern. Der Mann reagiert darauf, indem er sich der Gewalt bedient. Er versucht dies zu legitimieren, indem er seine Feigheit als Heldentat tarnt. Zur Legitimierung seiner Brutalitäten zieht er darüber hinaus religiöse Texte heran! So glaubt er, eine Koranstelle gefunden zu haben, die sein Verhalten rechtfertigt. Nachdem diese mehrfach übersetzt und ausgelegt wurde, findet man schließlich im vierten Vers der Sure Frauen: »Schlagt sie!« Grund genug für gewalttätige Männer, diesen »Befehl« auszuführen.

Doch – sagt der Koranvers 4/34 wirklich aus, der Mann solle die Frau verprügeln?

Wie kann Gott, der in seinem Vers 30/21 »Liebe« und »Barmherzigkeit« in der Ehe verlangt, nun das Gegenteil befehlen: »Schlagt sie!«? Das hieße ja, dass einer der Verse nicht göttlichen Ursprungs ist – da dies aber nicht möglich ist, müssen wir annehmen, dass es sich bei der Deutung Schlagt sie! um ­einen Fehler handeln muss. Für die meisten Koranexegeten war es ein Leichtes herauszufinden, welche Bedeutungen das Wort wadribuhunne außer »Schlagt sie!« noch haben kann. Diese Bedeutung wurde allerdings vernachlässigt. Stattdessen versuchte man die Auslegung »Schlagt sie!« lediglich abzumildern, indem man in dem Befehl das allerletzte Mittel bei starker Zerrüttung sah, um die Ordnung in der Familie wiederherzustellen. Der Mann müsse diese Strafe symbolisch mit einer Zahnbürste ausführen, damit die Frau keine Schmerzen leide. Eine wenig ernstzunehmende Deutung! Der Versuch, die Gewalt unter allen Umständen zu rechtfertigen, statt genauer auf den Text zu schauen, hat vielen Frauen unsäg­liches Leid beschert. Denn welcher Mann hat seine Frau jemals voller Wut mit einem zahnbürstenkleinen Stock geschlagen!?

Wo liegt nun die Wahrheit?

Sie liegt darin, dass das Wort wadribuhunne vom Stamm darabe nicht »Schlagt sie!« bedeutet, sondern: »trennt euch von ihnen für eine Weile!«. Genau diese Lesart liefert uns der moderne türkische Koranexeget İhsan Eliaçık, der auch Sprachwissenschaftler ist. Er übersetzt die Verse 4/34–35folgendermaßen:

»Die Männer haben Mitgefühl mit den Frauen; sie beschützen sie. Dies ist deshalb so, weil Gott die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Frauen, die gut, schön und aufrichtig sind, diejenigen, die die Intimität zu wahren wissen, die zu wahren Gott befohlen hat, und die, die Gott ehrfürchtig ergeben sind. Wenn ihr euch mit euren Gattinnen in einem heftigen Streit befindet, so sprecht zuerst mit ihnen; wenn das nichts nützt, lasst sie in ihren Betten allein; und wenn das auch nichts nützt, trennt euch von ihnen für eine Weile. Wenn sie sich mit euch versöhnen, sucht weiter keine Ausreden, um sie abzulehnen. Nur Gott ist erhaben und groß.« (Koran: 4/34)

Wie wir sehen, übersetzt Eliaçık das Wort wadribuhunne nicht mit »Schlagt sie!«, sondern mit »trennt euch von ihnen für eine Weile!«. Denn das ist auch die Bedeutung des Wortes. Denn der Stamm darabe hat viele Bedeutungen. Das Wort darabe kommt in vielen anderen Versen vor: Es gibt außer dieser Stelle im Vers 4/34 noch genau 53 weitere dieses Verbstammes. Doch eine Übersicht über die Koranübersetzungen zeigt, dass darabe an keiner Stelle außer dieser mit »schlagen« übersetzt wird. Auch die wenigen deutschen Koranübersetzungen weisen (wie die Übersetzungen in viele andere Sprachen) für das Wort wadribuhunne (darabe) die Entsprechung »Schlagt sie!« auf, sodass die Übersetzer sowohl sprachwissenschaftlich als auch ethisch einen großen Fehler begehen.

Das Wort darabe kann folglich im berühmt-berüchtigten »Frauen-Prügel-Vers« in keiner Weise »Schlagt sie!« bedeuten, zumal dies Gottes Prinzipien der Liebe und des Mitgefühls widersprechen würde. Mit diesem Vers beabsichtigte Gott, dass das in jener Gesellschaft verbreitete Prügeln von Frauen unterlassen wird und dass sich die Männer stattdessen für eine Weile von ihren Frauen entfernen sollen.

Vor allem weist das eigene Verhalten Muhammeds in diese Richtung, und er hat den Koran am besten verstanden. Kein einziges Mal hat er in seinem ganzen Leben die Hand gegen seine Ehefrauen erhoben, und er hat diejenigen scharf getadelt, die ihren Frauen gegenüber gewalttätig wurden. Als er einmal Schwierigkeiten mit seinen Frauen hatte, sprach er mit ihnen darüber, und er trennte dann sein Lager (für etwa zwei Monate) von ihrem. Nach der Aussöhnung kehrte er später zu ihnen zurück. Diese Überlieferung bestätigt die Annahme, dass das Wort wadribuhunne im besagten Vers richtigerweise mit »trennt euch für eine Weile« übersetzt werden muss.

Eines Tages beklagten sich einige Frauen darüber, dass sie von ihren Männern grob behandelt werden. Der Prophet trat vor die Gemeinde und sagte: »Männer, die ihre Frauen schlagen, sollen nicht glauben, sie seien gute Menschen und gute Muslime.« (Überliefert von Abu Dawud)

Die Verse im Koran beziehen sich meist auf eine »real vorherrschende Situation« und bringen sie in Ordnung. Zu den vorherrschenden Praktiken gehörten in der damaligen arabischen Gesellschaft z.B. die Polygamie, das Verprügeln von Frauen und das Halten von Sklavinnen. Der Koran übernahm in einer solchen Gesellschaft die Aufgabe, ihr zu einem Wandel zu verhelfen. Der Koran behandelte diese Themen, die bis dahin als Tabu galten, und startete viele Reformen, die Lage der Frau zu verbessern. Die Frauen waren die Unterdrückten der vorislamischen Gesellschaft, und es ist daher nur natürlich, dass der Koran für die Frauen Partei ergreift. Doch die patriarchalische Struktur der damaligen arabischen Gesellschaft leistete diesen Reformen Widerstand. Und die Verbreitung des Islam bei nicht-arabischen Völkern führte dazu, dass diese nicht nur die Religion, sondern auch die Kultur und die Bräuche der Araber mit übernahmen. Sie übernahmen dabei auch deren Widerstand gegen die Reformen. Gern verstanden alle Reformgegner das Wort wadribuhunne als »Schlagt sie!«, weil sie auf die im vorislamischen Arabien ohnehin sehr verbreitete Unart, Frauen zu schlagen, nicht verzichten konnten. Sie haben den Koran nicht nur in diesem Punkt abweichend von seinem Anliegen, dafür im Einklang mit den vorislamischen Bräuchen ausgedeutet, sondern auch in Bezug auf die Polygamie.

Mehr zum Thema im Buch „Grüß Gott, Herr Imam!“ von Imam Benjamin Idriz

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