Sogar das Minarett wird gefeiert
Von Alen Jasarevic
Die Moschee wird sich in unseren Städten etablieren. Ein Beispiel liefert das oberbayerische Penzberg. Der Architekt der 2005 eröffneten Moschee berichtet aus seinen Erfahrungen.
18. September 2005. Deutschland wählt zum ersten Mal eine Frau in das Kanzleramt. Am gleichen Tag wird in der kleinen oberbayerischen Stadt Penzberg das Islamische Forum eröffnet. Die islamische Gemeinde präsentiert stolz ihr neues Heim in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Auch zahlreiche Penzberger Bürger applaudieren dem Gebäude und der Gemeinde. Die anfänglichen Zweifel sind großer Begeisterung und Zuspruch gewichen.
Sogar das Minarett wird als wertvoller Beitrag zum Stadtbild gefeiert.
In den ersten drei Jahren nach der Eröffnung haben mehr als 15.000 Menschen das Forum besucht. Die kleine islamische Gemeinde hat sich zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor in Penzberg und seiner Umgebung entwickelt. Deutschkurse für die Gemeindemitglieder, eine Kinderkrippe, interreligiöse Mutter-Kind-Gruppen und ein ehrgeiziges Förderprogramm für Grundschüler sind nur einige der zahlreichen Programmpunkte aus dem Bildungsangebot des Islamischen Forums.
Viel hat sich seit der Eröffnung der Moschee in der islamischen Gemeinde verändert. Die Mitglieder des Vorstandes müssen per Satzung mündlich und schriftlich Deutsch beherrschen, die Freitagspredigt wird regelmäßig auf Deutsch gehalten, auch die Umgangssprache der Gemeinde ist Deutsch (bei vielen Mitgliedern muss man wohl eher Bayerisch sagen), der Vizepräsident ist eine Frau, die Mütter übernehmen immer mehr Aufgaben in den Schulen und Kindergärten ihrer Kinder, die Zahl muslimischer Kinder am Gymnasium hat stark zugenommen, die Kontakte zur Kirche und immer mehr auch zur jüdischen Gemeinde wurden gefestigt und intensiviert. Das große gegenseitige Vertrauen und die Freundschaft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ist offensichtlich.
Welche Rolle kann in diesem Annäherungsprozess die Architektur spielen? Die islamische Baukunst hat im Laufe der Jahrhunderte großartige Werke hervorgebracht. Zwischen Spanien und China, Südosteuropa und Zentralafrika haben muslimische Architekten einen großen Reichtum an Formen geschaffen. Sie haben die Moschee – und nicht nur sie – sehr sensibel an ihr soziales, wirtschaftliches, kulturelles und klimatisches Umfeld angepasst.
Dieser architektonische Reichtum ist ein Ausgangspunkt unserer Arbeit. Jenseits von Kunst und Goldenem Schnitt ist gerade auch die soziale und gesellschaftliche Dimension der Architektur von großer Bedeutung. An der Bewältigung gesellschaftlicher und künstlerischer Herausforderungen entscheidet sich, ob eine Moschee akzeptiert wird und man von einem gelungenen Projekt sprechen kann.
Wir sind der festen Überzeugung, dass sich ein mitteleuropäischer Moscheetyp entwickeln wird, mit dem sich die muslimischen Einwanderer, vor allem der dritten und vierten Generation, wie auch die nichtmuslimischen Bürger leichter identifizieren können als mit Übernahmen traditioneller Moscheetypen aus der islamischen Welt. Neben der Kirche und dem Rathaus wird sich die Moschee wie auch die Synagoge als selbstverständlicher Bestandteil unserer Städte etablieren. Wir stehen noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. Über Generationen gefestigte Bilder von Moscheen und Vorurteile müssen auf beiden Seiten aufgebrochen werden.
Noch gilt die osmanische Interpretation mit Zentralkuppel und spitzem Minarett als einzig legitimer Typ für einen Moscheebau. Sogar die Moscheegegner berufen sich auf ihren Protestplakaten auf dieses Bild. Dabei ist dieser Typ nur ein Element im weiten Spektrum der islamischen Architekturvielfalt. Die erste Moschee war das Wohnhaus des Propheten Mohammed: ein einfaches, teilweise überdachtes Hofgeviert. Der Muezzin rief vom Dach des Hauses zum Gebet. Das Minarett und die Kuppel entwickelten sich erst in der Folgezeit unter den ersten Kalifen. Die folgenden Jahrhunderte brachten ganz unterschiedliche Moscheetypen hervor. So erinnert uns ein chinesisches Minarett eher an eine Pagode oder eine schwarzafrikanische Lehm-Moschee an einen Ameisenhaufen.
Dennoch erfüllen alle Moscheen die gleiche Aufgabe, sie sind Gebetsplätze und Orte der Niederwerfung (arabisch für Moschee) und damit gleichwertig. Eine mitteleuropäische Moschee mit eigenen Gestaltungsmerkmalen ist daher genauso legitim wie etwa die Hallenmoschee im Maghreb. Umgekehrt wäre eine traditionelle chinesische Moschee in der Türkei genauso deplatziert wie eine traditionelle osmanische Moschee in Deutschland.
Moscheen waren immer Orte der Kommunikation und nicht primär Orte der Repräsentation. Gerade in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft ist die kommunikative Aufgabe von grundsätzlicher Bedeutung. Fruchtbare Gespräche gelingen gerade in einer ungezwungenen und vorurteilsfreien Atmosphäre. Gebäude, die auf Traditionen beharren, können dagegen zu Barrieren werden.
Als mich die islamische Gemeinde Penzberg das erste Mal zu einem Gespräch in ihre Räumlichkeiten einlud, wunderte ich mich über den provisorischen Charakter der Gebetsstätte. Er überträgt sich mit der Zeit auf die Arbeit der Gemeinde und ihres Vorstandes. Alles ist ein Provisorium. Doch in Penzberg war alles im Fluss. Der junge, charismatische Imam entwickelte in unserem Gespräch eine mitreißende Vision von der Zukunft der Muslime in Deutschland. Endlich! Eine Gemeinde, die sich und ihre Religion als selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft sieht.
Während des Schlussspurtes waren auch wir Architekten täglich auf der Baustelle, um die Arbeiten zu koordinieren und zu überwachen. In dieser Zeit fiel mir ein älterer Herr auf, der regelmäßig die Baustelle besuchte. Eines Tages nahm er mich zur Seite und fragte nach dem Minarett, wann es denn komme und ob es in die Umgebung passe. Es stellte sich heraus, dass er genau gegenüber der Moschee wohnte und zusammen mit seiner Frau besorgt war. Ich versicherte ihm, dass ich nach wie vor zu meinem Wort stünde und dass die Gemeinde der Stadt mit dem Minarett ein bemerkenswertes Kunstwerk schenken würde. Der Nachbar bedankte sich nach der Eröffnung beim Vorstand und erzählte, dass er nun mit seiner Frau abends seinen Kaffee am Fenster mit zurückgezogenen Gardinen trinkt und die schöne Aussicht genießt.
Ich frage mich häufig, welchen Anteil am Erfolg der islamischen Gemeinde die Architektur tatsächlich hat. Das Haus ist natürlich nur ein Passepartout, ein Rahmen für die Gemeinde, und ohne die Aktivität und Offenheit ihrer Mitglieder wäre auch die schönste Moschee kein Erfolg. Allerdings trägt die Architektur entscheidend dazu bei. Ein ungewöhnliches, kunstvoll, offen und transparent gestaltetes Gebäude verhilft der Gemeinde zu Identität und Selbstbewusstsein. Rückblickend lässt sich sagen, dass der Vorstand klug und vorausschauend gehandelt hat.
Die Befürchtungen der Bevölkerung wurden von allen ernst genommen und in vielen gemeinsamen Gesprächen entkräftet. Insgesamt wurde ein Projekt realisiert, das Leuchtturm-Qualität besitzt und hoffentlich auch andere Städte und Gemeinden inspiriert.