Freitagspredigt

Kanzelpredigt in der St.-Lukas-Kirche

10. Mrz 2013 | Freitagspredigt

Kanzelpredigt in der St.-Lukas-Kirche

10. Mrz 2013 | Freitagspredigt

Kanzelpredigt von Imam Benjamin Idriz in der St.-Lukas-Kirche in München am 10. März 2013

Welche religiösen Werte können das Christentum und der Islam im Sinne des gemeinsamen Stammvaters Abraham/Ibrahim gemeinsam vermitteln?

Gottesdienst zur internationalen Woche gegen Rassismus mit dem Imam der Penzberger Moschee und Vorsitzender des „Münchner Forum für Islam“ Benjamin Idriz als Kanzelredner am Sonntag, 10.03.2013, in der Lukaskirche in München. Auf Einladung der Pfarrerin der St.-Lukas-Kirche Beate Frankenberger hielt Imam Idriz in der Kirche eine Rede mit dem Thema „Welche religiösen Werte können das Christentum und der Islam im Sinne des gemeinsamen Stammvaters Abraham/Ibrahim gemeinsam vermitteln?“. Auf die Gegeneinladung von Imam Idriz hin hielt der Pfarrer der St.-Lukas-Gemeinde Helmut Gottschling am 04.10.2014, am Tage des Opferfestes, in der Penzberger Moschee eine Rede.

Benjamin Idriz: Kanzelpredigt in der St.-Lukas-Kirche
Predigt im IGP: Helmut Gottschling

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
verehrte Gemeinde,

sowohl für Sie als Kirchenbesucher, als auch für mich und die heute anwesenden Muslime, ist dies schon ein ungewöhnlicher Gottesdienst in einer Kirche. Denn unter gewohnten Umständen besteige ich freitags die Stufen der Kanzel in meiner Moschee in Penzberg. Und wenn Sie mich fragen würden, über welches Thema ich am liebsten und ausgiebigsten spreche, dann ist es die Frage nach gemeinsamen Werten, die uns als Gesellschaft zusammenhalten können. Wie können wir also in einer immer mehr plural gestalteten Welt, und wiederum in christlich geprägten Bayern, im multikulturellen München, menschlich und würdig unser Zusammenleben gestalten?
Unter anderem auch deshalb habe ich die Einladung gerne und dankbar angenommen. Weil es ein Thema ist, das unsere Zukunft prägen wird, ein Thema für das meine Seele brennt. Wenn die Muslime mich fragen, warum die Christen einen Imam einladen, eine Rede von ihrer Kanzel aus zu halten, dann ist meine Antwort, weil die Christen und ihre Pfarrerinnen und Pfarrer Menschen sind, die uns nahe stehen, wie uns der Koran bestätigt:

وَلَتَجِدَنَّ أَقْرَبَهُمْ مَّوَدَّةً لِّلَّذِينَ آمَنُواْ الَّذِينَ قَالُواْ إِنَّا نَصَارَى ذَلِكَ بِأَنَّ مِنْهُمْ قِسِّيسِينَ وَرُهْبَانًا وَأَنَّهُمْ لاَ يَسْتَكْبِرُونَ
„Du wirst wahrlich finden, dass die Menschen, die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, die sagen: „Wir sind Christen“, dies, weil unter ihnen Geistliche sind und weil sie nicht überheblich sind.“ (5, 82)

Der Koran, liebe Geschwister, ist voller Ehrgeiz mit Lob und Anerkennung gegenüber den Anhängern des Evangeliums:

وَلَقَدْ أَرْسَلْنَا نُوحًا وَإِبْرَاهِيمَ وَجَعَلْنَا فِي ذُرِّيَّتِهِمَا النُّبُوَّةَ وَالْكِتَابَ فَمِنْهُم مُّهْتَدٍ وَكَثِيرٌ مِّنْهُمْ فَاسِقُونَ ثُمَّ قَفَّيْنَا عَلَى آثَارِهِم بِرُسُلِنَا وَقَفَّيْنَا بِعِيسَى ابْنِ مَرْيَمَ وَآتَيْنَاهُ الإِنجِيلَ وَجَعَلْنَا فِي قُلُوبِ الَّذِينَ اتَّبَعُوهُ رَأْفَةً وَرَحْمَةً
„Wir sandten Noah und Abraham und stifteten in ihrer Nachkommenschaft die Prophetie und das Buch. Unter ihnen gab es manche, die sich leiten ließen, doch viele unter ihnen waren ruchlos. Dann ließen wir in ihren Spuren unsere Gesandten folgen und ließen Jesus, den Sohn Marias, folgen und gaben ihm das Evangelium und pflanzten in die Herzen derer, die ihm folgten, Milde und Barmherzigkeit.“ (57, 26-27)

Dies sind nur wenige Bespiele wie der Koran Jesus, seine Mutter Maria, das Evangelium und die Christen lobt, würdigt und achtet.
Diese Tradition zu pflegen, indem wir solche Verse nicht nur in unseren Gebeten und Predigten verlesen, sondern sie auch vorleben, sollte allen Muslimen Verpflichtung sein, und glücklicherweise gibt und gab es zu allen Zeiten überall Muslime, die danach leben.
Und natürlich erwarten auch Muslime Achtung und Wertschätzung, Respekt und Toleranz. Gerade das zeigen wir alle heute in München, Muslime und Nicht-Muslime, Schulter an Schulter, in einem Gotteshaus, rufen alle Menschen zu gegenseitiger Achtung und Toleranz auf, was durchaus Mut erfordert. Wenn wir diesen Mut gemeinsam aufbringen, wird die Feigheit der Intoleranz für alle sichtbar. Wir zeigen heute, dass Religionen sehr wohl friedlich miteinander umgehen können, denn schließlich stehen alle, mit keiner einzigen Ausnahme, für Frieden und wollen nur das Beste für den Menschen, der im Mittelpunkt der gesamten Schöpfung steht.
Gott belegt im Koran das Evangelium mit denselben Attributen wie auch den Koran: Beide sind als huda „Rechtleitung“ und als nûr „Licht“ an die Menschheit gesandt worden.

Gott spricht im Koran über das Evangelium und Jesus folgendes:

وَقَفَّيْنَا عَلَى آثَارِهِم بِعِيسَى ابْنِ مَرْيَمَ مُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ وَآتَيْنَاهُ الإِنجِيلَ فِيهِ هُدًى وَنُورٌ وَمُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ وَهُدًى وَمَوْعِظَةً لِّلْمُتَّقِينَ
„In ihren Spuren ließen wir Jesus folgen, Marias Sohn; er bestätigte, was vor ihm von der Thora bestand. Ihm gaben wir das Evangelium. Darin ist Rechtleitung und Licht, und ist Rechtleitung und Mahnung für die Gottesfürchtigen.“ (5, 46)

Fast identisch spricht Gott über Koran und Muhammed folgendes:

قَدْ جَاءَكُم مِّنَ اللَّهِ نُورٌ وَكِتَابٌ مُّبِينٌ يَهْدِي بِهِ اللَّهُ مَنِ اتَّبَعَ رِضْوَانَهُ سُبُلَ السَّلامِ وَيُخْرِجُهُم مِّنِ الظُّلُمَاتِ إِلَى النُّورِ بِإِذْنِهِ وَيَهْدِيهِمْ إِلَى صِرَاطٍ مُّسْتَقِيمٍ
„Licht und ein klares Buch sind zu euch von Gott gekommen. Gott führt damit, wer seinem Wohlgefallen Folge leistet, Wege des Heils und Friedens, und führt sie aus den Finsternissen hinan zum Licht, mit seiner Erlaubnis, und leitet sie auf einen rechten Weg.“ (5, 15-16)

Der Koran verlangt von Juden, Christen und Muslimen, mit der Wurzel des Glaubens verbunden zu bleiben und sich Gott anzuvertrauen:

شَرَعَ لَكُم مِّنَ الدِّينِ مَا وَصَّى بِهِ نُوحًا وَالَّذِي أَوْحَيْنَا إِلَيْكَ وَمَا وَصَّيْنَا بِهِ إِبْرَاهِيمَ وَمُوسَى وَعِيسَى أَنْ أَقِيمُوا الدِّينَ وَلا تَتَفَرَّقُوا فِيهِ
„Gott hat euch von der Religion nur das verordnet, was er Noah geboten hatte und was wir dir eingaben und was wir Abraham und Mose und Jesus geboten hatten: „Haltet euch an die Religion, und spaltet euch ihretwegen nicht.“ (42, 13)

قُولُواْ آمَنَّا بِاللَّهِ وَمَا أُنزِلَ إِلَيْنَا وَمَا أُنزِلَ إِلَى إِبْرَاهِيمَ وَإِسْمَاعِيلَ وَإِسْحَاقَ وَيَعْقُوبَ وَالأَسْبَاطِ وَمَا أُوتِيَ مُوسَى وَعِيسَى وَمَا أُوتِيَ النَّبِيُّونَ مِن رَّبِّهِمْ لاَ نُفَرِّقُ بَيْنَ أَحَدٍ مِّنْهُمْ وَنَحْنُ لَهُ مُسْلِمُونَ
„Sprecht: ›Wir glauben an Gott und an das, was uns von droben erteilt worden ist, und das, was Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und ihren Nachkommen erteilt worden ist, und das, was Moses und Jesus gewährt worden ist, und das, was ¬allen Propheten von ihrem Erhalter gewährt worden ist: Wir machen keinen Unterschied zwischen irgendeinem von ihnen. Und Ihm ergeben wir uns.‹“ (2,136)

Im Klartext heißt das: Alle, die der Nachkommenschaft Abrahams (milleti Ibrahim) angehören, also diejenigen, die Moses, Jesus und Muhammed ehren und folgen, sollten sich verbindlich zu einem Bund bekennen, gemeinsam am Strang ziehen und sich eben nicht spalten. Weil alle göttlichen Offenbarungen und Lehren und die aus ihnen hervorgegangenen Normen und Werte im Laufe der Geschichte nur mit dem Zweck entstanden sind, die Grundrechte wie Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Menschen, Frieden und Freiheit zu erzielen und zu schützen.

Auch über Muhammed, dem letzten in der Prophetenkette, ist diese Botschaft entsandt worden, um wieder uralte Moralkodexe zu bestätigen und die frohe Kunde zu überbringen. Deswegen spricht der Koran in der Sure Al Imran, der den Namen der Familie Jesu trägt, die Christen und Juden folgendermaßen an:

تَعَالَوْا إِلَى كَلِمَةٍ سَوَاء بَيْنَنَا وَبَيْنَكُمْ
„Kommt zu dem Grundsatz, den wir und ihr gemeinsam haben“ (3, 64).

Als Bindeglied nennt der Koran folgendes:

وَقُولُوا آمَنَّا بِالَّذِي أُنزِلَ إِلَيْنَا وَأُنزِلَ إِلَيْكُمْ وَإِلَهُنَا وَإِلَهُكُمْ وَاحِدٌ وَنَحْنُ لَهُ مُسْلِمُونَ
»Wir glauben an das, was uns von oben erteilt worden ist, wie auch an das, was euch erteilt worden ist: denn unser Gott und euer Gott ist ein und derselbe, und ihm ergeben wir (alle) uns.« (29:46)

Gott/Allah ist ein Licht, das die Welt erhellt, und kein Faktor des Streits und der Feindseligkeit. Mit dem Wort Gottes dürfen wir nicht Kriege verursachen, sondern müssen wir die Kriege beenden. Mit Gottes Hilfe überbrücken wir Unterschiede, leisten Widerstand gegen Schwierigkeiten und überwinden gesellschaftliche Missstände.
Alle Offenbarungen Gottes sind für uns als Licht und Wegweiser gedacht. Warum versuchen wir Menschen, den einen gegen die anderen aufzuhetzen? Warum nutzen wir Menschen dieses Licht nicht aus, um aus der Dunkelheit der Intoleranz herauszukommen?
Was wir im Koran lesen, wo wir den Islam lernen, stellt uns Gott eben nicht als unendlich fern dar, sondern in allererster Linie als Quelle der Barmherzigkeit oder mit einer noch deutlicheren Vokabel übertragen: der Liebe. Das formuliert der Koran sehr einprägsam:

وَنَحْنُ أَقْرَبُ إِلَيْهِ مِنْ حَبْلِ الْوَرِيدِ
„Wir sind dem Menschen näher als seine Halsschlagader“ (50:16)

Gottesliebe und Nächstenliebe ist die fundamentale Botschaft auch des Islams und die Kernlehre alle Offenbarungen. Ein Mensch, welcher Gott in seinen Gedanken und in seiner Seele spürt, kann auch gegenüber Gottes Schöpfung nahe und friedlich sein, weil Gott ihm gegenüber es ist. Weil vor allem die Liebe das Verhältnis zwischen Gott und Mensch bestimmt und nicht die Furcht oder der Hass. Also kann von einem gottbewussten Menschen nur Liebe und Achtsamkeit gegenüber anderen erwartet werden. Dies entspricht der Rolle des Menschen, der als Vertreter Gottes die Verantwortung übernommen hat, die von Gott erwünschte „friedliche Welt“ (daru-s-salam) auf Erden zu errichten.

وَاللَّهُ يَدْعُو إِلَى دَارِ السَّلامِ
“Gott lädt zur Wohnstätte des Friedens ein! (10:25)

Gott ist as-Salam, der Friede, und akzeptiert deswegen nur die freiwillige Hingabe und friedliebende Beziehungen zwischen den Menschen. Wenn islam also bedeutet, sich Gott freiwillig zu unterwerfen, dann bedeutet muslim, der „friedliebende Mensch“, der Mensch der Frieden auf Erden verbreitet. Der wahre Muslim ist das Gegenteil des verdorbenen, ungerechten, bösartigen und gewalttätigen Menschen. Dies bekundet der Prophet Muhammed am besten, indem er den Muslim folgendermaßen beschreibt:

المسلم من سلم الناس من لسانه ويده
„Der Muslim ist verantwortlich dafür, dass die anderen friedliebenden Menschen vor seinen Händen und Worten sicher sind.“

Gerade dieser Andere, wer auch immer er sein mag, muss fühlen, dass er in Frieden mit den Muslimen leben kann und sich bewusst sein, dass keine Gefahr von diesen ausgeht.

In einem wahrhaft humanistischen Appell ruft der Koran alle Menschen guten Willens auf, den Weg des Friedens einzuschlagen:

يَا أَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُواْ ادْخُلُواْ فِي السِّلْمِ كَافَّةً
„Ihr, die ihr glaubt! Tretet allesamt in den Frieden“ (2:208)

Hass und Gewalt stehen jedoch in krassem Gegensatz zu den theologischen Prinzipien des Islam. Es ist daher unverantwortlich, anti-islamische Stimmungsmache zu betreiben und ein neues „Feindbild Islam“ aufzubauen.

Es passiert nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass eine Religion aufgrund von Vorurteilen derer, die sich im Hass Anderen gegenüber verloren haben, falsch verurteilt wird; es ist auch nicht das erste Mal, dass diese Personen versuchen den Grundbegriff einer Religion ins Gegenteil zu drehen; es ist aber auch nicht zum ersten Mal in der Geschichte so, dass die Menschen, die dieser Religion angehören, begreifen müssen, dass diese Vorurteile nicht von sich aus verschwinden werden.

Heute liegt es auch an uns Muslimen selbst, sich als konstruktiver Faktor in die Gemeinschaft einzubringen, in einen echten „Dialog der Zivilisationen“ einzutreten. Muslime müssen aufstehen und über die wahren Begriffe ihres Glaubens, ihres Lebens, ihrer Kultur und des Weltfriedens sprechen.

Sie müssen darüber hinaus auch überzeugend handeln, damit sich das, wovon sie sprechen, was sie propagieren, woran sie glauben und worin sie Andere unterrichten, in ihrer Lebensweise wiederentdecken lässt. Und das tun viele Muslime in München und anderswo.

Gläubige aller Religionen müssen an vorderster Front gegen jede Instrumentalisierung Gottes vorgehen und Fanatismus bekämpfen, Arroganz, Überlegenheitsgefühle, Feindseligkeit, Rassismus und Gewalt entschieden entgegen treten, indem wir uns dazu bekennen, dass Hass niemals eine Lösung, aber immer eine Sünde ist, dass die Liebe und Barmherzigkeit Gottes immer die letzte Instanz und der ewige Wunsch Gottes ist!

Eine gemeinsame starke Stimme gegen jegliche Art von Intoleranz und von menschenunwürdigen Parolen muss Allgemeingut werden. Wir brauchen mehr denn je eine Kultur der Wertschätzung von allen Seiten, und das erfordert, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und für einen alternativlosen und respektvollen Dialog einzutreten.

Das ist Voraussetzung und notwendig, denn es geht hier um unsere konstruktive Verantwortung für diese Gesellschaft – also darum, als engagierte Menschen unterschiedlichen Glaubens für ein friedliches Zusammenleben in Pluralität einzutreten, für Bildung, für soziale Gerechtigkeit, für Gleichberechtigung und für Menschenwürde.
Paradoxien nehmen in unserer Zivilisation leider immer mehr Raum ein: je höher der Bildungsstand, desto niedriger der Moralkodex, wie es scheint; je mehr Wissen, desto weniger Weisheit; je mehr Wohlstand, desto weniger (moralische) Werte; je mehr Häuser, desto weniger Familien; je schneller die Kommunikation, desto weniger die menschlichen Beziehungen; je mehr Friedensappelle, desto mehr Hass und Angst und Hetze gegenüber Muslimen, auch hier in München.
All das sind klare Indikatoren dafür, dass wir etwas an unserer Lebensweise ändern müssen; wir müssen keine neue Moral erfinden, wir müssen nur einen Antrieb für einen Neubeginn anstoßen, der uns zu den Grundlagen der Menschheit führen wird, zu einem menschlichen Fundamentalismus oder fundamentalen Humanismus.
„Ich bin nicht gekommen um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“, sagt Jesus im Matthäusevangelium.
Und der Prophet Muhammed sagt dazu:

إنَّما بُعِثْتُ لأتمِّمَ مكارمَ الأخلاقِ
“Ich bin gekommen, die moralischen Werte zu vollenden.“

Was wir brauchen, ist eine spirituelle Revolution, die anders ist als wissenschaftliche oder politische Revolutionen.

Es ist die Revolution der Seele und des Denkens, die alle Errungenschaften vorheriger Revolutionen umfassen sollte, die auf die Rückkehr zum Licht Gottes (nur), abzielt – eine Quelle Seines Lichts, mit der Er die Herzen und Gedanken der Menschen erleuchtet, welches Licht über Licht ist, نور على نور welches die Dunkelheiten eine nach der anderen vertreibt, welches die Dunkelheit aus den Gedanken der Menschen davonjagt, welches Hass aus den Herzen der Menschen vertreibt und welches die menschliche Seele von dem Bösen reinigt.

Sind nicht diese Worte des Propheten Mohammed interessant:

إِنَّ اللهَ عَزَّ وَجَلَّ خَلَقَ خَلْقَهُ فِي ظُلْمَةٍ ، ثُمَّ أَلْقَى عَلَيْهِمْ مِنْ نُورِهِ
„Wahrhaftig, Gott hat die Lebewesen in Dunkelheit geschaffen und dann schenkte Er ihnen einen Teil Seines Lichts“.

Es ist dieses Licht Gottes, das die menschliche Seele erleuchtet hat und so die Menschheit aus der Sklaverei in die Freiheit führte; von Macht zu Recht; von Aberglaube zu Wissenschaft; von Hass zu Liebe; von Gewalt zu Sicherheit; von Angst zu Hoffnung; von Rache zu Versöhnung; von Armut zu Wohlstand; von Arroganz zu Hingabe; von Rohheit zu Sanftmut; von Habgier zu Genügsamkeit; von Gottlosigkeit zu Gottesfurcht.

Die Verunreinigung der menschlichen Seele durch Wertelosigkeit ist nicht weniger schädlich, als die Umweltverschmutzung durch Abgase und Müll. Außerdem kann die Natur nicht gereinigt werden, solange die menschliche Seele durch Boshaftigkeit und Unverantwortlichkeit dem Leben auf der Erde gegenüber verunreinigt ist.

Der Mensch muss Respekt und Dialog erlernen, denn es gibt keinen anderen Weg, der zu Erfolg in dieser Welt und zu Errettung im Jenseits führt. Eine Quelle von Feindseligkeiten, die gerade heute wieder traurige Aktualität gewonnen hat, muss die ganze Gesellschaft ablehnen: Rassismus, Antisemitismus, Christenverfolgung und Islamfeindlichkeit; alle sind verbrecherische Haltungen und dürfen nicht toleriert werden.

Es gibt keinen Zweifel, dass das Zusammentreffen von Religionen in Europa eine der interessantesten konkurrierenden Ereignisse der Geschichte des Kontinents ist. Was hier wichtig ist, ist die Tatsache, dass Judentum, Christentum und Islam sich nun nicht mehr ignorieren können, sondern sich im Sinne von Selbstbetrachtung aufeinander stützen müssen. Vorurteile existieren auf allen drei Seiten und führen sehr leicht zu Missachtung und Fehlverhalten. Dies müssen wir alle gemeinsam überwinden.

Unterschiedliche Auffassungen können kein Hindernis sein um gemeinsame Werte zu entwickeln: In Pluralität leben üben und in guten Sachen wetteifern, so der Koran:

لِكُلٍّ جَعَلْنَا مِنكُمْ شِرْعَةً وَمِنْهَاجًا وَلَوْ شَاء اللَّهُ لَجَعَلَكُمْ أُمَّةً وَاحِدَةً وَلَكِن لِّيَبْلُوَكُمْ فِي مَا آتَاكُم فَاسْتَبِقُوا الْخَيْرَاتِ إِلَى اللَّه مَرْجِعُكُمْ جَمِيعًا فَيُنَبِّئُكُم بِمَا كُنتُمْ فِيهِ تَخْتَلِفُونَ
„Für jeden von euch haben Wir Richtlinien und eine Laufbahn bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte euch aber in alledem, was Er euch gegeben hat, auf die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins wart.“ (5:48)

So wie es in diesem Koranvers zum Ausdruck gebracht wird, sollten die Unterschiede eine Motivation sein, sich im Einsatz für das Gute zu messen. Hier gibt es zwei wichtige Punkte, die man aus dieser koranischen Lehre ziehen sollte:

Erstens, lehrt es uns ein inklusives, kein exklusives Herangehen an die Welten der Religionen. Dies ist insbesondere für Europa wichtig, da die Zukunft Europas eine Zukunft vieler Religionen sein wird. Daher ist es wichtig, die Geschichte der Intoleranz bezüglich der Religionen anderer zu überwinden.

Zweitens, leitet uns der Koran zu der Schlussfolgerung, dass der Weg zur Gott allen offen steht, und der Weg dorthin ist ein Wettbewerb an guten Tugenden und die Entwicklung neuer Werte menschlicher Schicklichkeit. Wertvoll macht den Menschen seine Nähe zu Gott, die Stärke seiner Zivilcourage und sein Einsatz für das Gute, denn der Prophet Muhammed sagte:

خير الناس أنفعهم للناس
„Der Beste unter den Menschen ist derjenige, der anderen Menschen nützlich ist.“

Materialismus, Wirtschaftskrise, Egoismus, Verfall der religiösen und menschlichen Werte machen es allen Religionsgemeinschaften nicht gerade leicht, eine leitende Funktion in der Gesellschaft zu übernehmen. Trotzdem ist dies alles kein Grund zur Resignation. Durch Aktivierung des Guten, das bei jedem zu finden ist, und Motivierung des Einzelnen, sich für Recht und Gerechtigkeit und gegen Rassismus und Fremdfeindlichkeit einzusetzen, können die Religionen wieder eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft spielen.

Und zum Schluss, meine sehr verehrten Geschwister, beende ich meine Rede mit demselben Vers, mit dem ich und alle Imame ihre Freitagspredigt beenden:

إِنَّ اللَّهَ يَأْمُرُ بِالْعَدْلِ وَالإِحْسَانِ وَإِيتَاء ذِي الْقُرْبَى وَيَنْهَى عَنِ الْفَحْشَاء وَالْمُنكَرِ وَالْبَغْيِ يَعِظُكُمْ لَعَلَّكُمْ تَذَكَّرُونَ
Gott gebietet Gerechtigkeit und Gutes zu tun und Großzügigkeit gegenüber den Mitmenschen; und Er verbietet alles, was schmachvoll ist und Gewalttätigkeit. Er ermahnt euch. Vielleicht lasst ihr euch mahnen! (16:90)

Möge Gott Sie zu denen zählen, die Ihrer Gesellschaft nützlich sind. Amin!

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