Publikationen

Islam und Politik

von | 13. Okt 2017 | Publikationen

Der „politische Islam“ scheint gescheitert. Fundamentalistische Strömungen missbrauchen Religion für politische Zwecke. Die zeitgemäßen Theologen setzten sich mit den Anspruch auf einen „islamischen Staat“ kritisch. Al-Ghazali (1111), Ibn Taymiya (1328) und ihre Nachfolger, die einen islamischen Staat für die Existenz eines islamischen gesellschaftlichen Lebens voraussetzen, propagieren eine Irrmeinung.

Dabei kristallisierte sich ein neuer Ansatz heraus, der die Angelegenheiten des Glaubens und der Politik nicht miteinander vermengt, der sie aber auch nicht voneinander isoliert. Zeitgemäßen Theologen gehen dabei sowohl zum Theokratismus als auch zu einem ultra-laizistischen Staatsverständnis auf Distanz und schlugen einen mittleren Weg vor.

Die Demokratie ist diejenige Regierungsform, die dem koranischen Prinzip der Volksberatung (schura) am nächsten kommt. Im Islam ist das Volk das fundamental Entscheidende. Die Macht bezieht ihre Legitimation vom Volk: „Parlament“. Was dem Islam widerspricht, ist nicht die Demokratie, sondern die Diktatur. Es ist auch äußerst falsch, die Demokratie als ein Instrument zu betrachten, das man nach einer Weile abschaffen müsste. Im Staat haben Muslime und Nicht-Muslime die gleichen Rechte. Wenn der Islam eine politische Haltung hat, dann besteht sie im Streben, eine Ordnung in der Welt zu errichten, die sich auf die „Gerechtigkeit“ und den „Frieden“ stützt. Ein idealer Staat der Muslime hat pluralistisch und freiheitlich zu sein.

Das eigentliche Ziel der Politik ist, die Menschen in Frieden zusammenleben zu lassen, und die Grundlage dafür bilden Gleichheit und Gerechtigkeit. Es muss betont werden, dass das Individuum, das seine Religion frei ausüben darf, hierfür eines Staates nicht bedarf. Im Konflikt zwischen dem Staat und den Rechten sind die Rechte vorzuziehen. Denn sie sind die Daseinsberechtigung des Staates. Das Recht auf Ernährung, Wohnung, Sicherheit, Meinung- und Glaubensfreiheit, Teilnahme und Kritik an der Regierung, Überwachung der Regierung usw. – das sind nicht einfach Rechte, sondern auch Pflichten für jeden Menschen. Im Islam ist die Beratung, d.h. die Teilnahme der Regierten an der Regierung, nicht nur ein Recht, sondern eine obligatorische Pflicht (fard). Viele Prinzipien des demokratischen Systems wie die Freiheit des Denkens und der Rede, Gleichheit, Überlegenheit des Rechts und Gerechtigkeit sind im Islam ebenfalls nicht einfach nur Rechte, sondern zwingende Pflichten (fard). Diese Rechte und Pflichten sind allesamt nur auf friedlichem Weg wahrzunehmen und zu erfüllen. Gewaltverzicht ist Grundprinzip.

Der Islam hat keine bestimmte politische Regierungsform eingeführt. Den Aufbau einer Rechtsordnung zur Befriedigung der jeweiligen Bedürfnisse der Gesellschaft hat der Islam den Menschen selbst überlassen. Daher ist der Islam seinem Wesen nach säkularistisch. Denn wir haben keinen Klerus. Da es im Islam keine mit der Kirche vergleichbare Institution gibt, besteht auch das Problem einer Trennung der Religion vom Staat nicht. Was unsere (muslimischen) Gesellschaften brauchen, ist die Trennung der Religion von der Politik. Dies bedeutet, dass die Religion für politische Zwecke nicht instrumentalisiert werden darf; denn die Religion repräsentiert einen konstanten und absoluten Bereich im menschlichen Dasein.

Die Politik hingegen ist relativ und veränderlich. Die Politik wird von Interessen geleitet, und das Bestreben der Politiker orientiert sich an Vorteilen. Die Religion muss aber fern von solchen Überlegungen gehalten werden. Wenn religiöse Konflikte von politischen Ambitionen herrühren, bedeutet dies für die Gesellschaft eine Zerreißprobe und kann zum Bürgerkrieg führen.

Die Muslime dürfen im Einklang mit den grundlegenden Zielen der Religion das Rechtssystem erneuern. Daher gibt es im Islam auch keinerlei politische Ordnung, die durch starre Schablonen festgelegt wäre. Das Wesen der politischen Philosophie im Islam besteht darin, einen Staat zu gründen, der sich auf Gerechtigkeit stützt. Welche Regierungsform im Lichte dieses grundlegenden Wertes zu bilden sei, müssen die Menschen durch ihre Vernunft selbst herausfinden. Der Staat hat keine Religion, und das eigentliche Maß des Regierens ist die Gerechtigkeit; daher ist die Bezeichnung ›Staat der Gerechtigkeit‹ bzw. Rechtsstaat angemessener als Islamstaat. So wie es keinen Staat der Religion geben darf, so ist auch eine Religion des Staates unzulässig.

Der Islam sieht eine Trennung bzw. Kooperation zwischen Religion und Staat vor, also einen »Kooperationsstaat« auf der Basis von Werten. Daher ist der »Islamismus« in der in Europa so bezeichneten Form, also der Anspruch auf einen sog. Gottesstaat, mit dem Islam unvereinbar.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner