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Deklaration der Imame
Nicht im Namen Allahs und nicht in unserem Namen!
Deklaration der Imame in München
Die aktuellen Ereignisse im Irak und in Syrien und zunehmender Missbrauch unserer Religion durch Einzelne und durch extremistische Strömungen bewegen uns, in die Öffentlichkeit zu gehen, um wiederholt zu bekräftigen und für alle unüberhörbar zu erklären, was wir tagtäglich sagen und predigen.
Weil wir Muslime sind, sind wir entsetzt über die Verbrechen, die im Namen unserer Religion im Irak und in Syrien begangen werden, verurteilen entschieden alle abscheulichen Taten, wie die Vertreibung von andersdenkenden und andersglaubenden Menschen, barbarische Hinrichtungen von Journalisten, Geiseln oder Gefangenen und betrachten all das dezidiert als ebenso unislamisch wie unmenschlich!
Wir sind zutiefst traurig über die Zerschlagung der uralten Tradition des Miteinanders im Nahen Osten, wo Menschen unterschiedlichen Glaubens und vielfältiger Kulturen seit Hunderten von Jahren zusammenleben.
Wir solidarisieren uns mit Christen, Juden, Jesiden, Schiiten oder Sunniten – wer auch immer wo auch immer unter Gewalt, Terror und Vertreibung leidet.
Wir wehren uns dagegen, dass der Hass aus anderen Regionen der Welt nach Deutschland gebracht werden soll, und arbeiten für ein friedliches Miteinander hier in Deutschland, wo wir zuhause sind.
Wir Imame, die Verantwortung in unseren Gemeinden übernommen haben, um die Botschaft des Islam weiterzutragen, engagieren uns seit Jahren für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland und setzen uns in unseren Predigten und in unserem Wirken in den Gemeinden für ein aufgeklärtes und gemäßigtes Religionsverständnis ein, gemäß dem Koran und der Tradition.
Wir leiden unter den aktuellen Nachrichten ja nicht weniger als andere, sondern mehr, weil es unsere Religion ist, die dabei so unbeschreiblich pervertiert wird. Müssen die Imame lauter schreien? Ja, müssen sie! Denn es sind die Irren, die Ungebildeten und Fehlgeleiteten, die Gewalttäter allerorten, die das Bild unserer Religion nach außen bestimmen. Und es ist unsere Aufgabe – wessen sonst! – dagegen aufzutreten. Wir können nur an alle appellieren, nicht uns hier an den Wahnsinnstaten anderer, wo auch immer auf der Welt, zu messen. Nicht uns, und nicht DEN Islam. So wie wir nicht das Christentum und nicht das Judentum an dem messen wollen und werden, was Einzelne oder extremistische Strömungen an Leid verursachen.
Menschen, die kaltblutig Köpfe abschneiden, Andersdenkende vertreiben oder Hass schüren, betrachten wir als „Mufsidun“ – Menschen die Unheil auf der Erde stiften, wie der Koran sie nennt. Über solche Menschen sagt Allah im Koran folgendes:
وَإِذَا تَوَلَّى سَعَى فِي الأَرْضِ لِيُفْسِدَ فِيِهَا وَيُهْلِكَ الْحَرْثَ وَالنَّسْلَ وَاللّهُ لاَ يُحِبُّ الفَسَادَ وَإِذَا قِيلَ لَهُ اتَّقِ اللّهَ أَخَذَتْهُ الْعِزَّةُ بِالإِثْمِ فَحَسْبُهُ جَهَنَّمُ وَلَبِئْسَ الْمِهَادُ
„Wenn er sich abkehrt, bemüht er sich eifrig darum, auf der Erde Unheil zu stiften und Saatfelder und Nachkommenschaft zu vernichten. Aber Gott liebt nicht das Unheil. Und wenn man zu ihm sagt: „Fürchte Gott“, reißt ihn der Stolz zur Sünde hin. Die Hölle soll seine Genüge sein – wahrlich eine schlimme Lagerstatt!“ (Koran: 2/205-206)
Der Koran verurteilt das Töten Unschuldiger in der entschiedensten Formulierung, die denkbar ist:
مَنْ قَتَلَ نَفْسًا بِغَيْرِ نَفْسٍ أَوْ فَسَادٍ فِي الْأَرْضِ فَكَأَنَّمَا قَتَلَ النَّاسَ جَمِيعًا وَمَنْ أَحْيَاهَا فَكَأَنَّمَا أَحْيَا النَّاسَ جَمِيعًا
„Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (dass es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält.“ (Koran: 5/32)
Unser Prophet Muhammed sagt:
لهدم الكعبة حجراً حجرا أهون من قتل مسلم
„In den Augen Gottes ist es eine geringeres Vergehen, die Kaaba zu zerstören, als einen friedliebenden Menschen zu töten.“
Wir fragen: Wie würden die Muslime in Deutschland auf einen Bombenangriff auf die Kaaba reagieren? Mit Recht gingen sie auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Einen unschuldigen Menschen zu töten, ist in Gottes Augen ein größeres Verbrechen als die Zerstörung der Kaaba. Daher rufen wir Muslime und Nicht-Muslime auf, ihre Stimmen noch lauter zu erheben gegen alle kriegerische Gewalt, ganz gleich ob sie mit primitiven Mitteln oder mit modernen Raketen unschuldige Menschen tötet.
Dem Frieden gilt der gemeinsame Ruf aller Religionen. Barmherzigkeit ist mit weitem Abstand diejenige Aussage, die uns der Koran am häufigsten über Gott vor Augen hält. Allah selbst ist السلام „as-salam“, der Friede, und der wahre Muslim, der während seines Gebetes täglich dieses Wort immer wieder ausspricht, ist derjenige Mensch, der in Frieden mit Gott, mit sich selbst, seiner Umgebung, allen Menschen, Tieren und Pflanzen sowie mit dem ganzen Kosmos lebt. Allah fordert die Muslime dazu auf, die Botschaft des Friedens zu verbreiten und sich selbst ihrem Gegner gegenüber gerecht zu verhalten, um damit sein Herz zu erweichen und aus ihm einen Freund zu machen:
وَلا تَسْتَوِي الْحَسَنَةُ وَلا السَّيِّئَةُ ادْفَعْ بِالَّتِي هِيَ أَحْسَنُ فَإِذَا الَّذِي بَيْنَكَ وَبَيْنَهُ عَدَاوَةٌ كَأَنَّهُ وَلِيٌّ حَمِيمٌ
„Und nimmer sind das Gute und das Böse gleich. Wehre (das Böse) in bester Art ab, und siehe da, der, zwischen dem und dir Feindschaft herrschte, wird wie ein treuer Freund sein.“ (Koran: 41/34)
Als eine Konsequenz aus dem koranischen Gebot:
يَاأَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُوا ادْخُلُوا فِي السِّلْمِ كَافَّةً
„Ihr, die ihr glaubt! Tretet allesamt ein in den Frieden“ (Koran: 2/208)
müssen die Muslime in der ganzen Welt lautstark ihre Parteinahme für den Frieden entschieden und unmissverständlich, überall und unablässig kundtun. Islam bedeutet: der friedliebende Gehorsam Allah gegenüber, friedliche Akzeptanz und friedliche Praxis des Glaubens im Namen Allahs. Muslim bedeutet: der „friedliebende Mensch“, der Mensch, der Frieden auf Erden verbreitet. Dies bekundet der Prophet Muhammed (s) am besten, indem er den Muslim folgendermaßen beschreibt:
المسلم من سلم الناس من لسانه ويده
„Der Muslim d.h. der friedliebende Mensch, ist verantwortlich dafür, dass die anderen friedliebenden Menschen vor seinen Händen und Worten sicher sind.“
Gerade dieser Andere, wer auch immer er sein mag, muss fühlen, dass er in Frieden mit den Muslimen leben kann und sich zu jeder Zeit und an jedem Ort bewusst sein, dass keinerlei Bedrohung von ihnen ausgeht.
Wir rufen alle Muslime dazu auf,
- ausdrücklich jene Christen, Juden, Jesiden, Muslime, ob Schiiten oder Sunniten, in ihr Gebet mit einzuschließen, die verfolgt und vertrieben werden
- sich offensiv vom sog. „Islamischen Staat“ zu distanzieren und sich unter keinen Umständen direkt oder indirekt mit Terroristen zu identifizieren oder zu solidarisieren, deren Tun zu verteidigen oder zu verharmlosen. Für uns ist der „IS“ weder islamisch noch ein Staat, und wir lehnen seinen selbsternannten „Kalifen“ kategorisch ab. Das Verbot der Organisation „IS“ durch die Bundesregierung begrüßen wir nachdrücklich.
Wir appellieren an unsere Jugendlichen, wachsam zu sein. Eure Zukunft ist hier in Deutschland. Euer Platz ist die Schule, Ausbildungsstelle, Universität, der Arbeitsmarkt und die Familie. Allah hat zu Beginn seiner Botschaft uns gelehrt, in unseren Hände Schreibstifte zu tragen (allama bil qalam – Koran: 96/4) und nicht Waffen! Geht auf keinen Fall in die Kriegsgebiete um euer Leben für falsche Zwecke zu opfern! Der Prophet Muhammed hat den Wunsch eines Jugendlichen in den Krieg zu ziehen zurückgewiesen und ihn aufgefordert, bei seinen Eltern zu bleiben.
جَاءَ رَجُلٌ إِلَى النَّبِيِّ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ يَسْتَأْذِنُهُ فِي الْجِهَادِ ، فَقَالَ: أَحَيٌّ وَالِدَاكَ ؟ قَالَ : نَعَمْ ، قَال : فَفِيهِمَا فَجَاهِدْ
Lasst euch nicht von Propagandisten im Internet belügen und verführen! Wenn andere vermeintlich oder tatsächlich Unrecht gegen Muslime verüben, dann könnt ihr nichts dadurch verbessern, dass ihr selbst Unrecht verübt. Terror ist niemals eine Lösung, aber immer eine Sünde!
Wir rufen die Politik dazu auf,
- in transparenter Weise gemeinsame Wege mit den Moscheegemeinden zu finden, wie wir den Extremismus effektiv bekämpfen können. Der Generalverdacht, unter den wir oft gestellt werden, ist kontraproduktiv und hat die Situation immer weiter verschärft! Die Politik muss dringend differenzierter vorgehen und unterscheiden, von welcher Seite tatsächliche Gefahr ausgeht, diese entschieden bekämpfen – aber ebenso entschieden mit denjenigen zusammenarbeiten und sie engagiert unterstützen, die den Islam richtig interpretieren und dadurch sehr viel effektiver gegen Missbrauch vorgehen können.
- sich offensiver mit den Gründen des Missbrauchs und des Extremismus auseinanderzusetzen. Die Muslime vermissen eine Willkommenskultur und leiden unter dem Eindruck, dass ihre Religion nach wie vor nicht gleichberechtigt ist. Das führt zu Diskriminierung und Ausgrenzung. Ebenso wie Rechtsradikalismus, Antisemitismus und islamisch missbräuchlich begründeter Extremismus ist auch die bedrohlich zunehmende Islamfeindlichkeit zu bekämpfen, gerade hier in München. Wir begrüßen daher das Vorgehen des Landesamtes für Verfassungsschutz, islamfeindlichen Extremismus als solchen zu benennen und unter Beobachtung zu stellen.
Wir rufen die Gesellschaft dazu auf,
- sich unvoreingenommen mit uns auseinanderzusetzen, sich mit uns zu solidarisieren und gemeinsam mit uns gegen Extremismus aus jedweder Richtung vorzugehen. Wichtige Signale, auf die die Muslime lange warten und die uns jetzt drängender denn je erscheinen, wären Besuche hochrangiger Repräsentanten der Gesellschaft, angefangen vom Bayerischen Ministerpräsidenten, aber auch hoher Würdenträger aller Religionsgemeinschaften, in unseren Moscheen.
Wir sind gleichzeitig denen dankbar verbunden, die das bereits seit langem als Selbstverständlichkeit erachten. Zeichen gegen Extremismus zu setzen, ist nur dann wirklich effektiv, wenn sie gemeinsam gesetzt werden.
So wie wir uns (keineswegs erst heute!) entschieden gegen Extremismus positionieren, erwarten wir nicht nur in Zeiten von Brandanschlägen gegen Moscheen das gemeinsame Engagement aller, die im Europa unserer Zeit eine gedeihliche, gemeinsame und friedliche Zukunft verwirklichen und bewahren wollen.