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Redebeitrag von Imam Benjamin Idriz in der Hanns-Seidel-Stiftung am 10. September 2024
Sehr geehrter Herr Staatsminister Herrmann,
sehr geehrter Herr Landesbischof Kopp,
Herr Bischof Dr. Meier,
Herr Vorsitzender Hamburger,
geschätzte Damen und Herren,
ich möchte mich bei Ihnen, Herr Staatsminister, persönlich herzlich für Ihre Bemühungen bedanken, Menschen unterschiedlicher Religionen in Bayern zusammenzubringen. In einer Zeit, in der Spaltung sowohl in der Gesellschaft als auch zwischen den Religionen um sich greifen, sind politische Akteure verpflichtet, die Kluft zwischen Menschen, Institutionen und – in unserem Fall – den Religionsgemeinschaften zu schließen. Zwischen den unterschiedlichen Perspektiven zu moderieren, ist nicht nur ein sinnvolles Unterfangen, sondern auch ein Gebot der Stunde.
Seit fast 30 Jahren bin ich in Deutschland als Imam tätig, und ich habe nie zuvor so ein starkes Gefühl von Unsicherheit und gesellschaftlicher Spaltung verspürt, wie es derzeit der Fall ist. In einem Land, in dem junge Menschen rechtsextreme und ausländerfeindliche Parteien wählen, fühle ich mich mit meinen Sorgen nicht allein. Viele Menschen mit Migrationshintergrund, gut integrierte und hier sozialisierte Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens – darunter auch erfolgreiche Unternehmer – machen sich zunehmend Gedanken darüber, ob sie auswandern sollten, weil sie sich hier nicht mehr sicher und willkommen fühlen.
Studien belegen, dass Islamfeindlichkeit und Angriffe auf Muslime dramatisch zugenommen haben, und dennoch hört man nur selten den klaren Satz: „Muslimisches Leben in Deutschland muss geschützt werden.“ Diese Realität führt dazu, dass viele Muslime sich fragen: Wohin entwickelt sich die Demokratie in diesem Land? Wie wird die Zukunft des Zusammenlebens aussehen? Diese Fragen beschäftigen mich zutiefst, denn das Miteinander ist essenziell für ein friedliches Zusammenleben.
Ich ermutige gläubige Muslime, in jeder Freitagspredigt positiv zu denken, hoffnungsvoll zu bleiben und sich mit großem Engagement für dieses Land einzusetzen. Es ist entscheidend, dass wir nicht resignieren, sondern aktiv die Vielfalt fördern und als Teil der demokratischen Gesellschaft Verantwortung übernehmen.
Die Zukunft des Zusammenlebens in unserem Land hängt stark davon ab, wie wir als Gesellschaft auf diese Herausforderungen reagieren. Es wird entscheidend sein, wie wir Brücken bauen und nicht Mauern, wie wir den Dialog fördern und nicht den Rückzug in eigene Gruppen.
Ebenso wird es darauf ankommen, wie die Politik, die jüdischen Gemeinden, die Kirchen, die Medien den Muslimen gegenüberstehen: ob sie sie als gleichberechtigte Menschen und Partner akzeptieren oder sie an den Rand drängen.
Die heutige Veranstaltung gibt Anlass zur Hoffnung, mit Blick auf diejenigen, die heute hier vertreten sind, und könnte als Wendepunkt in der bayerischen Politik betrachtet werden. Sie, Herr Staatsminister, haben die Möglichkeit, die Situation in die richtige Richtung zu lenken.
Wenn wir uns heute die Frage stellen „Wie viel Religion braucht die Demokratie?“, ist es sinnvoll, zunächst das Wesen der Demokratie zu betrachten.
Die Demokratie, wie wir sie seit 75 Jahren in Deutschland leben und schätzen, beruht auf mehr als der bloßen „Herrschaft des Volkes“. Sie erfordert Werte, die das Zusammenleben regeln und die Rechte aller Bürger schützen. Diese Werte sind in den Grund- und Menschenrechten verankert, die in den ersten 20 Artikeln unseres Grundgesetzes niedergelegt sind. An erster Stelle steht die Menschenwürde, die die Grundlage allen staatlichen Handelns bildet. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes erkannten nicht nur die Notwendigkeit, eine stabile Demokratie zu schaffen, sondern auch, diese moralisch zu fundieren.
Religionen haben die Aufgabe, Menschen eine moralische Orientierung zu geben, oft noch bevor staatliche Strukturen greifen. Die Zehn Gebote Moses, die in den monotheistischen Religionen verankert sind, sind ein Beispiel dafür. Sie vermitteln Prinzipien und Werte. Durch diese moralischen Leitlinien bereichern Religionen die Demokratie, ergänzen ihre Grundwerte und tragen zum Aufbau einer gerechten Gesellschaft bei. Die Kooperation zwischen Demokratie und Religion ist somit nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Gemeinsam mit dem Rechtsstaat tragen religiöse Werte dazu bei, die Demokratie zu einer Staatsform zu machen, die in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten Frieden und Wohlstand sichert.
Die Gesellschaft des Nachkriegsdeutschlands war weitgehend homogen. Doch mit den Anwerbeabkommen der 1960er-Jahre kamen Menschen aus verschiedenen Ländern nach Deutschland und brachten ihre Kulturen und Religionen mit – darunter auch der Islam. Trotz der mittlerweile langen und friedlichen Geschichte des Islam in Deutschland verweigern sich viele Menschen dieser Realität. Diese Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Muslimen untergraben auch die Bemühungen zur Integration.
Es ist an der Zeit, diese Realität anzuerkennen und Brücken zu bauen. Auf der Grundlage von Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit können wir eine Gesellschaft gestalten, die nicht nur Toleranz praktiziert, sondern echte Akzeptanz lebt – eine Gesellschaft, die Vielfalt als Stärke begreift.
Es ist alarmierend, dass zunehmend Stimmen in der Politik laut werden, die den ersten Artikel des Grundgesetzes infrage stellen. Diese Rhetorik, die die Würde des Menschen missachtet, kommt nicht nur aus den Reihen der AfD. Noch bedenklicher ist, dass selbst Behörden Publikationen herausgeben, die diskriminierende Inhalte fördern. Solche Entwicklungen tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei und gefährden den gesellschaftlichen Frieden.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist unsere gemeinsame Richtschnur. Es ist unerträglich zu sehen, wie die Werte unserer Verfassung, die allen Menschen gleichermaßen zustehen, einigen gewährt und anderen verwehrt werden. In solch einer Situation müssen die Religionen der Demokratie unterstützend zur Seite stehen. Wo Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung auftreten, müssen Demokratie und Religion gemeinsam entschlossen gegen solche Ungerechtigkeiten eintreten und sich gleichermaßen für den Schutz der Betroffenen einsetzen.
Die Demokratie steht vor der Herausforderung, das Vertrauen der Menschen – ich spreche hier für muslimische Bürgerinnen und Bürger – zurückzugewinnen und den Zusammenhalt in einer immer diverser werdenden Gesellschaft zu stärken. Gleichzeitig müssen sich die Religionen ihrer Verantwortung bewusst werden, in einer säkularen Welt ihre Rolle als ethische und moralische Instanz zu beweisen. Es ist an uns allen, demokratische Werte und religiöse Prinzipien so zu verteidigen, dass sie nicht spalten, sondern verbinden und die Demokratie nicht gefährden, sondern stärken.
Wir befinden uns an einem Scheideweg, an dem die Rolle der Religionen in unserer Gesellschaft neu bewertet werden muss. Die Religionen dürfen sich niemals als Konkurrenten oder gar als Feinde betrachten, sondern als ergänzende Bereicherung und als Bindeglied zu Gott. Der Koran ruft in der Sure Al Imran, die nach der Familie Jesu benannt ist, Juden und Christen auf: „Kommt zu dem Grundsatz, den wir und ihr gemeinsam haben“ (3:64). Unser gemeinsamer Gott und unsere Gleichheit liegen in diesem gemeinsamen Grundsatz. Gott ist der Friede und ein Licht, das die Welt erhellt – kein Auslöser von Streit und Feindseligkeit. Warum nutzen wir dieses göttliche Licht nicht, um uns aus der Dunkelheit der Intoleranz zu befreien?
Religionsgemeinschaften, die menschenverachtende Taten offen oder stillschweigend billigen und ihre Glaubensprinzipien für politische Zwecke opfern, verlieren das Vertrauen der Menschen. Dies führt nicht nur zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen der Religion, sondern auch in den Glauben selbst. Eine Religion, die ihre Grundwerte wie Frieden und Gerechtigkeit zugunsten ideologischer oder politischer Interessen opfert, diskreditiert sich selbst und verliert ihre moralische Autorität. Es ist daher unsere Pflicht, uns selbstkritisch zu hinterfragen und die Essenz dieser Lehren wiederzufinden. Nur so können wir der ursprünglichen Mission von Moses, Jesus und Muhammad gerecht werden und ihren wahren Geist in unserer Welt bewahren.
Würden heute Moses, Jesus und Muhammad zu uns treten und sehen, wie wir ihre Lehren verzerrt haben, würden wahrscheinlich sie sich von uns distanzieren. Moses würde sein Gesetz der Gerechtigkeit, Jesus die Nächstenliebe und Muhammad die Lehre der Barmherzigkeit in unseren Taten vermissen. Die heiligen Schriften sind allzu oft missbraucht worden, um Gewalt, Ungerechtigkeit und Hass zu rechtfertigen.
Religionsgemeinschaften müssen ihre Stimme für Gerechtigkeit und Frieden unter allen Umständen erheben. In Zeiten des Friedens für Frieden zu beten, ist zwar eine gute Sache, aber in Zeiten von Gewalt und Krieg für Frieden einzutreten, ist der wahre Ausdruck eines ehrlichen Glaubens. Ich spreche hier für meinen Glauben und möchte dies betonen: Der Koran appelliert an uns: „O ihr, die ihr glaubt! Tretet allesamt ein in den Frieden! Und folgt nicht den Fußstapfen Satans, denn wahrlich, er ist ein offener Feind!“ (2:208). Der Satan symbolisiert hier alles, was den Menschen zu Hass, Gewalt, Rache und Konflikt anstachelt.
Als religiöse Menschen dürfen wir den Interessen der herrschenden Mächte nicht folgen, sondern müssen konsequent Gewalt und Rache ablehnen. Aus dieser Überzeugung heraus haben wir nach dem 7. Oktober des vergangenen Jahres die Initiative für ein Friedensgebet ins Leben gerufen, das jedoch bedauerlicherweise abgesagt wurde. Dieses Gebet sollte ein starkes Zeichen für den Zusammenhalt und den gemeinsamen Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit hier bei uns in München setzen, eben gerade in einer Zeit, in der Spaltung und Vorurteile zunehmen. Dass das nicht stattfinden konnte, war ein folgenschwerer Rückschlag! Doch es darf uns nicht entmutigen. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Brücken und Vertrauen zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu bauen. Dass heute Vertreter dreier Religionen zu Wort kommen, ist ein wichtiges und richtiges Zeichen in dieser herausfordernden Zeit. Es zeigt, dass wir trotz unserer Unterschiede gemeinsam Verantwortung tragen und uns für den Frieden einsetzen wollen.
Ich appelliere an alle: Lasst uns nicht von den Wahnsinnstaten anderer, egal wo auf der Welt, beeinflussen – weder uns selbst noch den Islam. So wie wir das Christentum oder das Judentum nicht an den Taten Einzelner, Organisationen oder Regierungen messen, die Leid verursachen, muss es ebenso selbstverständlich sein, dass Extremisten, die den Islam missbrauchen, keineswegs für den Islam oder die Muslime stehen.
Unsere Aufgabe muss es sein, uns mit allen zu solidarisieren, die unter dem Unfrieden leiden, und für die Juden, Christen und Muslime zu beten, die aufrichtig Frieden wünschen. Wir sollten uns für die Menschen einsetzen, die auf beiden Seiten zu Geiseln und Opfern politischer oder anderer Interessen gemacht werden. Doch zugleich stelle ich die Frage: Inwieweit sind andere bereit, Extremismus, Kriegstreiberei und Ungerech¬tigkeit ebenfalls offen zu verurteilen?
Weil wir deutsche Muslime oder Muslime in Deutschland sind, verwehren wir uns entschieden dagegen, dass der Konflikt aus anderen Regionen der Welt nach Deutschland getragen wird, und arbeiten für ein friedliches Miteinander hier, wo wir zuhause sind! Wir müssen uns gegen die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung, gegen Extremismus aller Art, gegen Antisemitismus, -welcher zurecht gesellschaftlich geächtet ist-, gegen Islamfeind-lichkeit, -welche dagegen oft salonfähig gemacht wird, und gegen antidemokratische Tendenzen verbünden. Antisemitismus und Islamfeindlichkeit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Die Demokratie ist kein Mittel, um die eigene Weltanschauung an die Macht zu bringen, um sie dann abzuschaffen. Ganz im Gegenteil: Demokratie ist der Ausdruck einer inneren Überzeugung von Freiheitswerten und Menschenwürde. Sie stellt einen Auftrag an religiöse wie auch areligiöse Menschen gleichermaßen dar und muss von allen unerbittlich verteidigt werden.
Der Islam, mit seinen spirituellen und sozialen Werten, hat das Potenzial, das Gemeinwohl in Deutschland zu bereichern und die Demokratie zu stärken. Es liegt an der Politik, diese Chance zu erkennen und die Hand zur Kooperation mit Muslimen auszustrecken. Leider mangelt es oft am nötigen Willen der höchsten politischen Repräsentanten, konstruktive muslimische Kräfte zu unterstützen. Die Bevorzugung einer Religion auf Kosten anderer birgt die Gefahr, die Gesellschaft weiter zu polarisieren. Muslime spüren diese Form der Diskriminierung besonders stark. Dieses Gefühl der Ausgrenzung wird dazu führen, dass Muslime sich weiter zurückziehen und in Parallelwelten abdriften. Diese Entwicklung ist nicht nur für Muslime problematisch, sondern sie würde auch die Politik und die Demokratie selbst belasten. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass alle Religionen gleichermaßen respektiert und gefördert werden, um ein faires und friedliches Zusammenleben zu gewährleisten.
Die demokratische Werte sind unteilbar: Nur wenn sie für alle gleichermaßen gelten, können sie ihre Glaubwürdigkeit bewahren. In den vergangenen Wochen haben wir mit Bestürzung eine Reihe von Messerangriffen in unserem Land erlebt – zunächst in Mannheim, dann hier in München/Pasing und schließlich in Solingen und Siegen. Bei diesen Vorfällen verloren unschuldige Menschen ihr Leben oder wurden schwer verletzt. Besonders in Solingen, wo der Täter ein Syrer war, wurde der Vorfall schnell mit dem Begriff „Islamismus“ in Verbindung gebracht. Im Gegensatz dazu wurden die Täter in Siegen und München, beides Deutsche, als psychisch krank eingestuft. Warum wurde der Täter in Solingen nicht ebenfalls als psychisch krank bezeichnet? Für mich ist er, sowohl psychisch als auch religiös krank.
Es ist besorgniserregend, wie unterschiedlich die Reaktionen ausfallen, je nachdem, wer der Täter ist. In Solingen war der öffentliche Aufschrei groß, wie es oft der Fall ist, wenn ein Muslim als Täter identifiziert wird. Wenn jedoch ein Nicht-Muslim die Tat begeht, bleibt der Aufschrei viel leiser. Diese unterschiedliche Behandlung führt zu einem Vertrauensverlust in die Politik, weil mit zweierlei Maß gemessen wird. Um das Vertrauen in die Grundsätze unserer Demokratie zu bewahren, müssen wir alle Verbrecher gleichermaßen behandeln. Der versuchte Anschlag auf jüdische Einrichtungen in München in der vergangenen Woche kann in keiner Weise mit unserem Glauben gerechtfertigt werden und muss, wie jede andere Gewalttat, entschieden verurteilt werden. Unsere Solidarität gilt allen Betroffenen.
Die religiösen Werte sind ebenso unteilbar: Religionen können und müssen stets auf der Seite der leidenden Kinder, Mütter und Väter stehen, unabhängig davon, ob diese in Israel, Gaza oder der Ukraine leben. Während die Politik oft selektiv handelt und nicht allen Opfern gleichermaßen Anteilnahme zeigt, dürfen Religionen diesen Weg der Unterscheidung nicht einschlagen. Wenn Religionen beginnen, Opfer zu selektieren, hören sie auf, ihrem wahren Wesen gerecht zu werden.
Religionen haben die Verantwortung, Politiker zu ermahnen und daran zu erinnern, dass die Bewahrung des Asylrechts nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine zutiefst menschliche Verpflichtung ist. Das Asylrecht ist ein zentraler Bestandteil dessen, was eine Demokratie ausmacht. Moses, Jesus und Muhammad – alle waren einst gezwungen, vor Verfolgung zu fliehen. Jesus Christus selbst erlebte das Schicksal eines Flüchtlings, als er mit seinen Eltern nach Ägypten floh. Wer das Asylrecht einschränkt, stellt sich gegen die grundlegenden Werte von Mitmenschlichkeit und Schutz, die im Zentrum der christlichen Tradition stehen. Für eine gelungene Integration der Flüchtlinge sind Sprache, Bildung, Arbeit, Fleiß, Gesetzestreue, Respekt und eine gelebte Willkommenskultur prägende Elemente.
Ich komme nun zum Schluss und möchte diese Gedanken, die ich vor allem an meine muslimischen Geschwister richte, mit Ihnen teilen: Ich verstehe meinen Glauben als Ausdruck tiefer Ehrfurcht vor Gott und zugleich als Auftrag, mich für die Rechte anderer einzusetzen – insbesondere für die der Minderheiten, der Diskriminierten und der Ausgegrenzten. Deshalb stelle ich mir die Frage: Wie können wir unseren Einsatz in positive Bahnen lenken? Wie können wir unsere Leidenschaft und unsere Liebe für den Islam in Bayern in etwas Gutes verwandeln?
Erstens: Indem wir als Muslime Islamfeindlichkeit nicht nur als Grund zur Klage, sondern als Auftrag verstehen, gewinnen wir die Kraft, aktiv gegen Vorurteile vorzugehen. Islamfeindlichkeit wird niemals vollständig verschwinden, doch wie der Koran lehrt: „Wende das Böse mit dem Guten ab!“ (41:34). Das bedeutet, dass wir die Möglichkeit haben, Feindschaft in Freundschaft zu verwandeln.
Um dies zu erreichen, müssen wir uns noch mehr öffnen, Brücken schlagen und Vertrauen aufbauen. Selbstkritik sollte als Stärke gesehen werden, und unsere Arbeit muss professioneller, transparenter und in der Sprache des Landes gestaltet werden. Vor allem ist es wichtig, die Werte, die wir vertreten, aktiv vorzuleben. Nur so kann das Vertrauen gegenüber Muslimen wachsen und Islamfeindlichkeit nach und nach abgebaut werden.
Zweitens: Indem wir als Muslime menschenverachtende und frauenfeindliche Interpretationen des Islam, die von Extremisten verbreitet werden, entschlossen und offen bekämpfen, den Religionsunterricht auf der Basis der Barmherzigkeit gestalten und uns klar von Positionen abgrenzen, die die demokratische Grundordnung in Frage stellen.
Drittens: Indem wir als Muslime den Dialog und die Zusammenarbeit mit dem Staat unermüdlich suchen, auch wenn uns gelegentlich Gegenwind entgegenschlägt. Durch eine enge Zusammenarbeit können Missverständnisse abgebaut, gegenseitiges Vertrauen gestärkt und gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Dies gelingt jedoch nur, wenn der Staat ebenfalls ein ernsthaftes Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinschaft zeigt.
Viertens: In dem wir als Muslime z.B. für das jüdische Leben stark machen, zeigen wir, dass wir wahrhaft gläubig sind. Die Geschichte liefert uns dafür Beispiele: Muslimisch geprägte Länder wie Marokko, die Türkei, Albanien und Bosnien haben in der Vergangenheit vertriebene Juden aufgenommen. In Sarajewo wurde die Haggadah, ein berühmtes jüdisches Gebetbuch, von bosnischen Muslimen trotz des verheerenden Krieges geschützt. In diesem Einsatz, andere zu schützen, liegt für mich der wahre Glaube. Diese Tugend sollten wir auch in der Gegenwart und Zukunft bewahren.
Das erhoffe ich mir auch von Juden und Christen gegenüber Muslimen und umgekehrt: Dass wir gerade in Krisenzeiten füreinander einstehen und den anderen in den Vordergrund stellen. Wir brauchen heute besonnene Stimmen, die klar betonen: „Genauso wie das christliche Leben, müssen auch das jüdische und das muslimische Leben in Deutschland und überall gleichermaßen geschützt werden.“ Dies erfordert die Nächstenliebe Jesu, das Gerechtigkeitsgebot Moses, die Barmherzigkeit Muhammads und die Werte unserer Demokratie.
Wir müssen den Mut und die Klugheit aufbringen, trotz aller Umstände und Unterschiede im Gespräch zu bleiben, einander zu begegnen und füreinander da zu sein, weil wir einander brauchen, weil wir als Menschen unverzichtbar füreinander sind und weil wir als Menschen kostbare Ressourcen für die Entwicklung unsres Landes sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!