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Imam Idriz spricht in der Deutschen Islam Konferenz

10. Nov 2020 | Allgemein

IGP: Imam Idriz spricht in der Deutschen Islamkonferenz
IGP: Imam Idriz spricht in der Deutschen Islamkonferenz

Bedingt durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen, musste die diesjährige Deutsche Islam Konferenz (DIK) heute digital stattfinden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer eröffnete die Veranstaltung von Berlin aus mit einer Rede zum Thema „Imamausbildung“ und die Herausforderungen im Zusammenhang mit Islam und Muslime in der Gegenwart. Die Ausbildung religiösen Personals islamischer Gemeinden, kurz „Imamausbildung“, ist eines der Kernthemen der aktuellen Phase der DIK.

Imam Benjamin Idriz war zu Konferenz eingeladen und hat über seine Erfahrung berichtet. Hier seine Rede:

Sehr geehrter Herr Bundesminister,
meine Damen und Herren,
Grüß Gott, aus dem Oberbayerischen Penzberg,

hinter diesem Raum, wo ich gerade spreche, liegt die Penzberger Moschee, die überregional und über Deutschland hinaus bekannt geworden ist und, wie viele Beobachter feststellen, eine eigene Erfahrung in der Geschichte Deutschlands gemacht hat, nicht nur aus architektonischer Sicht. Nicht umsonst hat der Bundespräsident gerade diese Moschee besucht und als ein Vorbild für Moscheegemeinden bezeichnet. Diese positive Bilanz verdanken wir mehreren Faktoren; einer davon ist die Position des Imams innerhalb der Gemeinde, worüber ich heute gebeten wurde, in dieser Runde etwas vorzutragen. Ich bin mir sicher, dass viele meiner Kollegen auch ähnliche Erfahrung machen und ähnlich berichten würden. Erlauben sie mir dennoch einige Gedanken in sieben Punkten zu skizieren:

1. Kontinuität

Einer Gemeinde, für die schon vorgegeben ist, dass sie ihren Imam in einigen Monaten oder in wenigen Jahren nicht mehr haben wird, wird der Erfolg schwer gemacht. Ein Imam, der körperlich in Deutschland aber gedanklich und seelisch woanders ist, oder auch ein Imam, der finanziell nicht gut gestellt ist, kann sich nicht mit Leib und Seele für die Zukunft seiner Gemeinde einsetzen. Meine Gemeinde hat mir die finanzielle Existenz gesichert, mit einem unbegrenzten Arbeitsvertrag. Das schafft Kontinuität. So kann ich die Gemeinde mit großem Elan begleiten und die Arbeit für einen Islam im Lande, und nicht für woanders, konzipieren. Für einen „Islam in Deutschland, für Deutschland, und aus Deutschland“, wie die DIK treffend formuliert hat, brauchen die Gemeinden Imame, die hier sozialisiert sind und ihre Zukunft hier bauen wollen. Dafür sind drei Faktoren wichtig: Beherrschung der deutschen Sprache, finanzielle Sicherheit und theologische Kompetenz. Jede Gemeinde soll in der Lage sein, wenigstens den gesetzlichen Mindestlohn oder ein angemessenes Einkommen für den Imam zu bezahlen. Das zu organisieren ist die Aufgabe des Vorstands und der Gemeinde. So kann die Gemeinde ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahren. Die Imame der Moscheegemeinden von IGBD, z.B., aber auch anderen Dachverbänden, erhalten ihren Lohn von ihren Gemeinden und besitzen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland. Das Mitgliedschaftssystem der IGBD zeigt dass es möglich ist, ohne von Ausland finanziell abhängig zu funktionieren.

2. Imam ist kein Beruf, sondern eine Vision

Ähnlich wie ein Pfarrer in der Kirche, der Imam soll der Leiter und das Gesicht der Moscheegemeinde sein. Ein Imam ist eben nicht nur damit beauftragt, die Gebete zu leiten oder die Freitagspredigt zu halten oder die Kinder zu unterrichten. Neben diesen Aufgaben sollte er auch eine federführende Rolle in der Gesellschaft übernehmen. Er ist nicht Religionsbeauftragter, sondern Imam, also jemand der eine Vision hat, die Federführung übernimmt, einen Islam im Hier und Heute, im Geist der Zeit und in Deutschland zu entwickeln. Er plant, managt, forscht, schreibt. Er ist Administrator, Brückenbauer, Seelsorger, Ideengeber, Selbstdenker. Kurzum, er ist Vorbeter, aber auch noch sehr viel mehr.

3. Am Puls der Zeit

Mein Tag beginnt – nach dem Gebet natürlich – mit dem Lesen von zwei Zeitungen, des Lokalen Penzberger Merkur und der Süddeutschen Zeitung. Wenn ich Auto fahre, höre ich regelmäßig B5, einen aktuellen Nachrichtensender. Was ich damit sagen will: Der in Deutschland angekommene Imam ist derjenige, der in der ersten Linie das Geschehen in diesem Land verfolgt und zu den Ereignissen in der Welt Stellung nimmt. Terrortaten, wie zuletzt in Paris, Nizza und Wien, sind wichtige Anlässe, wo er seine Stimme gegen Gewalt erhebt – nicht weil die Öffentlichkeit von ihm so was erwartet, sondern aus eigener Überzeugung. Er thematisiert solche Fragen mit Jugendlichen und steuert sie in die richtige Richtung.

4. Herausforderungen bewusst machen

Die Kinder und Jugendlichen brauchen und suchen nach dem Imam, der nicht nur deutsch spricht, sondern auch ihre Welt versteht. Ich habe jeden Sonntag Jugendtreffen, wo Mädchen und Jungs zusammen sitzen, und da diskutieren wir über Gott und die Welt. Wir rezitieren nicht nur den Koran, sondern wir versuchen ihn zu verstehen. Liebe, Ehe mit Nichtmuslimen, Homosexualität, Gleichberechtigung, Umweltschmutz, Antisemitismus, Rassismus, religiös begründete Gewalt, Umgang mit Christen und Juden, Soziales Engagement, Integration… über solche Themen mit Jugendlichen offen zu diskutieren, ist enorm wichtig, weil sie sich damit angesprochen fühlen. Im Fokus der Antworten des Imams zu manch heiklen Themen steht Achtung und nicht Verachtung. Der Imam ist derjenige, der die Welt nicht nur mit seinen engen Brillen sieht, sondern über den eigenen Tellerrand hinaus blickt. Viele Deutsche, Nichtmuslime, interessieren sich für das, was der Islam zu herausfordernden Themen sagt. Vom Imam werden Antworten erwartet, die er ohne Dolmetscher geben kann. Die Pfarrer am Ort wollen mit dem Imam direkt im Dialog treten, ohne Übersetzer. Die jetzigen Imame brauchen Projekte zur Fort- und Weiterbildung. Die zukünftigen Imame eine anerkannte Ausbildung. Der deutsche Staat soll all das nicht nur fordern sondern auch fördern.

5. Frauen fördern

Als ich angefangen habe, als Imam zu arbeiten, war sehr selten eine Frau in der Moschee zu sehen, geschweige denn beim Freitagsgebet, oder gar im Vorstand. Ich habe die Frauen motiviert, am Freitagsgebet und an Festgebeten teilzunehmen, was in vielen Moscheen leider immer noch nicht üblich ist. Seit 15 Jahren nehmen die Frauen in meiner Moschee regelmäßig daran teil. Im Vorstand sind fünf von neun Mitgliedern Frauen, wir haben also die 50%-Quote sogar überschritten. Der Imam ist jemand, der gegen Diskriminierung der Frauen in der Gemeinde seine Stimme erhebt und sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, sowohl in der Küche als auch in der Führungsposition der Gemeinde.

6. Vielfalt begrüßen

Auch wenn meine Person und meine Gemeinde, aus traditionellen Gründen der sunnitisch-hanafitischen Schule folgen, vertrete ich als Imam auch die Interpretationen anderer traditioneller Rechtsschulen wie auch moderne Denkschulen. Nicht nur Deutschland zeichnet sich inzwischen durch Diversität der Ethnien aus, auch die Moscheegemeinden sollten sich von Vielfalt der Ethnien bereichert fühlen, und auch entsprechende Angebote anbieten. Eine bestimmte Flagge, Politik, Ideologie oder Nationalismus hat in einer Moschee nichts zu suchen. Schiiten und Sunniten, Traditionalisten wie auch Modernisten, Altansässige wie neu zugezogene Migranten, sollten sich gleichberechtigt und akzeptiert fühlen. Nicht nur die Gemeinde soll bunt sein, sondern auch der Vorstand. Im Vorstand meiner Gemeinde sitzen Bosnier, Türken, Deutsche und Syrer. Die gemeinsame Sprache ist das Deutsche. Neben der deutschen Sprache für die Predigten und die Kommunikation, sind auch die türkische, bosnische, albanische und arabische Sprache ebenso präsent.

7. Bekenntnis zu Rechtsstaat und Rechtsordnung

Ich führe viele Eheberatungen, für der Fall der Ehescheidung allerdings schicke ich das Paar zum Gericht, denn ich spreche kein Urteil. Ich schließe bzw. segne die Ehen, allerdings erst nachdem die Ehe standesamtlich geschlossen wurde. Die Moschee darf nicht ein Ort der Paralleljustiz sein, und der Imam hat keine Befugnis, Urteile zu sprechen. Er ist ein Vermittler. Ein Imam ist den demokratischen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden. Die Rechtsordnung Deutschlands soll auch in der Moschee gelebt werden.

Ich möchte zum Schluss allen meinen Kollegen danken, die hervorragende soziale und religiöse Dienste leisten und sich somit für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland stark einsetzen. Imame sind und können die Schützer der in der Verfassung verankerten Werte sein!

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